E-Commerce Paket per 1. Juli 2021: Fokus Warenhandel
17. Nov 2021, Recht & Steuern | E-Commerce

EU MwSt, E-Commerce Paket per 1. Juli 2021: Fokus Warenhandel

Warenhandel aus der Schweiz nach Deutschland/EU sowie aus Deutschland in die restliche EU, auch Online-Handel

Zum 1.7.2021 traten in der Europäischen Union (EU) mit dem zweiten Teil des sogenannten «E-Commerce Package» weitreichende umsatzsteuerliche bzw. mehrwertsteuerliche Änderungen in Kraft. Davon betroffen können nebst Unternehmen in Deutschland/EU auch Schweizer Unternehmen sein, welche aus EU-Sicht sogenannte «Drittlandsunternehmen» sind. Der Artikel stellt die wichtigsten Änderungen im Bereich des Warenhandels dar.

1. Versandhandel innerhalb der EU

Die bisherige Versandhandelsregelung §3c UStG wurde zu Gunsten einer neuen EU-weit einheitlichen Fernverkaufsregelung abgeschafft. Ein neuer unionsweiter Schwellenwert von EUR 10'000 wurde eingeführt. Die Neuregelung des §3c UStG zum Fernverkauf betrifft einerseits die «B2C»-Lieferungen (Business-to-Consumer) sowie andererseits Lieferungen an steuerbefreite Unternehmer sowie nicht unternehmerisch tätige juristische Personen.

Der Ort der Lieferung eines innergemeinschaftlichen Fernverkaufs wird ins Bestimmungsland verlagert, wenn nicht der Ausschlusstatbestand (Umsatzschwelle von EUR 10'000 für nur in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer nicht überschritten) Anwendung findet.

Beispiel 1: Ein deutsches Unternehmen verkauft und liefert Waren an private Endkunden («B2C») über die eigene Homepage auch nach Österreich und Frankreich im Wert von total EUR 24'000 pro Jahr. Das deutsche Unternehmen wird dadurch in den genannten beiden Ländern ebenfalls umsatzsteuerpflichtig, da der Ort der genannten Lieferungen entsprechend der Neuregelung in dem jeweiligen Bestimmungsland (hier: Österreich bzw. Frankreich) ist.

Beispiel 2: Ein Schweizer Unternehmen verkauft und liefert Waren aus der Schweiz mit Einführung über Deutschland oder aus einem Lager in Deutschland an private Endkunden («B2C») über die eigene Homepage auch nach Österreich und Frankreich im Wert von total EUR 6'000 pro Jahr. Das Schweizer Unternehmen wird dadurch in den genannten Ländern ebenfalls umsatzsteuerpflichtig.

2. Betreiber sogenannter «elektronischer Schnittstellen» (aus EU und aus Drittländern wie Schweiz): Einbezug in fiktive Lieferketten, neue Pflichten zu Registrierungen

Seit dem 01.07.2021 wird für Warenlieferungen durch einen Unternehmer über eine elektronische Schnittstelle (z.B. elektronische Marktplätze, Portale) ein Reihengeschäft fingiert, wenn bei bestimmten Abnehmern (B2C) der Verkäufer im Drittland (aus EU-Sicht, also beispielsweise Schweiz) ansässig ist und/oder der Warenwert EUR 150 nicht übersteigt. Diese Lieferkettenfiktion führt dazu, dass die elektronische Schnittstelle (z.B. der Betreiber eines Portals) selbst zur Steuerschuldnerin wird (ein sog. Fiktives Reihengeschäft). Diese Regelung greift nicht, wenn ein Unternehmen eigene Produkte über die eigene Homepage direkt vertreibt. Die Regelung greift jedoch bereits, wenn der Vertrieb über eine Homepage bspw. einer Gruppengesellschaft erfolgt.

Beispiel: Ein deutscher Händler verkauft über eine elektronische Schnittstelle kulinarische Spezialitäten wie Käse (Warenwert EUR 80) an eine in Deutschland ansässige Privatperson. Die Ware wird aus einem Lager in der Schweiz an den Wohnsitz der Privatperson versendet. Die Zollanmeldung in Deutschland erfolgt durch den Betreiber der elektronischen Schnittstelle. Die Warenbewegung wird dem Betreiber der elektronischen Schnittstelle zugeschrieben. Die Lieferung des Händlers an den Betreiber der elektronischen Schnittstelle ist in Deutschland nicht steuerbar. Die Lieferung des Betreibers der elektronischen Schnittstelle an die Privatperson ist in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig. Der Betreiber der elektronischen Schnittstelle hat diese Umsätze im sogenannten «Import-One-Stop-Shop» zu deklarieren (oder Alternativen zu der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuern zu wählen).

3. Erweiterung «One-Stop-Shop», EU-Verfahren

Das bisherige MOSS-Verfahren (auch kleine einzige Anlaufstelle bzw. Mini-One-Stop- Shop) für in der EU oder in einem Drittstaat (Schweiz) ansässige Unternehmer, die sonstige Leistungen (EU Terminologie) bzw. Dienstleistungen (Schweizer Terminologie) erbringen, wurde mit Wirkung zum 01.07.2021 auf alle am Ort des Verbrauchs ausgeführten Dienstleistungen an Nichtunternehmer («B2C») mit Sitz oder Wohnsitz im (EU-) Gemeinschaftsgebiet erweitert und wird jetzt als One-Stop-Shop («OSS») bezeichnet. Darüber hinaus können sich in der EU ansässige Unternehmer für den erweiterten OSS entscheiden, um die Umsatzsteuer für folgende Warenum- sätze anzumelden und zu entrichten:

  • innergemeinschaftliche Fernverkäufe, sowie
  • fiktive Lieferungen durch Betreiber einer elektronischen Schnittstelle an Nichtunternehmer («B2C») mit Sitz oder Wohnsitz in der EU.

OSS-Registrierungen haben grundsätzlich im EU-Staat der Ansässigkeit (bei Schweizer Unternehmen Sitz der Betriebstätte) zu erfolgen. OSS-Abrechnungen sind quartalsweise bis zum Ende des Folgemonats einzureichen und zu bezahlen. Erfolgen in einem Quartal keine zu deklarierenden Transaktionen, sind dennoch Nullmeldungen abzugeben. Schweizer Unternehmen, die sich dafür registrieren lassen (sofern sie die Voraussetzungen erfüllen, beispielsweise aufgrund Ansässigkeit oder einer Betriebstätte in einem EU-Staat), benötigen dazu keinen EU-Fiskalvertreter. Eine solche Registrierung führt zu keiner speziellen Identifikationsnummer oder dergleichen.

Zu beachten ist, dass ein Vorsteuerabzug im Rahmen des OSS-Verfahrens nicht möglich ist und deshalb grundsätzlich im jeweiligen EU-Staat im Rahmen des Vorsteuervergütungsverfahrens geltend gemacht werden muss.

4. Erweiterung «One-Stop-Shop», Nicht-EU-Verfahren

Dieses Verfahren steht auch Schweizer Unternehmen offen. Da es aber nur für ausgewählte sonstige Leistungen zur Anwendung gelangt, wird es im vorliegenden Artikel nicht weiter erläutert.

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5. Warenimporte in die EU: Neuer «Import-One-Stop-Shop», Abschaffung 22 Euro-Freigrenze EU-weit, neue Möglichkeiten, neue Freigrenze Importe Deutschland

Um Wettbewerbsverzerrungen durch Nichtbesteuerungen zu vermeiden, wurde die EUR 22-Freigrenze bei der Einfuhrumsatzsteuer auf Einfuhren aus einem aus EU-Sicht Drittstaat, wie der Schweiz, in die EU abgeschafft.

Anstelle dieser bisherigen Regelung wird nun ein optionaler sog. Import-One-Stop-Shop («IOSS») eingeführt. Dieser ist anwendbar für Einfuhren von Waren mit einem Sachwert bis EUR 150 pro Sendung (Nettobetrag, ohne Umsatzsteuer und ohne gesondert berechnete Transportkosten).

Für Fälle, in denen der IOSS nicht genutzt wird, wurde in Deutschland eine weitere optionale Sonderregelung eingeführt, bei der die Einfuhrumsatzsteuer für die Einfuhren durch die Beförderer (Post- bzw. Expresskurierdienstleister) von den Sendungsempfängern vereinnahmt und danach gesammelt an die Zollverwaltung entrichtet werden kann. Vergleichbare Sonderregelungen sind EU-weit in Kraft.

Beispiel: Ein Schweizer Händler verkauft über die eigene Internetseite oder über eine elektronische Schnittstelle Taschenmesser (Sachwert EUR 40) an eine deutsche Privatperson. Die Ware wird vom Händler aus seinem Lager in der Schweiz an den deutschen Wohnsitz der Privatperson versendet. Die Zollanmeldung in Deutschland erfolgt durch einen Post- oder Kurierdienstleister, welcher die Sonderregelung in Anspruch nimmt und im Namen und für Rechnung der Privatperson handelt. Da die Zollanmeldung im Namen der Privatperson erfolgt, schuldet die Privatperson die Einfuhrumsatzsteuer und entrichtet diese bei Auslieferung der Ware an den Post- oder Kurierdienstleister. Die Post oder der Kurierdienstleister müssen diese Einfuhrumsatzsteuern deklarieren und weiterleiten.

IOSS-Abrechnungen sind monatlich bis zum Ende des Folgemonats einzureichen und zu bezahlen. Erfolgen in einem Monat keine zu deklarierenden Transaktionen, sind dennoch Nullmeldungen abzugeben. Schweizer Unternehmen, die sich dafür registrieren lassen, benötigen dazu grundsätzlich einen EU-Fiskalvertreter. Eine solche Registrierung führt dazu, dass eine spezielle Identifikationsnummer zugeteilt wird. Da ein Schweizer Unternehmen für diese Registrierung keine Ansässigkeit, Betriebstätte oder dergleichen benötigt, darf der Staat der IOSS-Registrierung grundsätzlich frei gewählt werden. Schweizer Unternehmen werden wahrscheinlich dazu häufig Deutschland wählen.

Anstelle der bisherigen EUR 22-Freigrenze hat Deutschland in § 23 der Zollverordnung eine neue Kleinbetragsregelung eingeführt. Gemäss dieser Regelung werden Einfuhrabgaben nicht erhoben, wenn sie bei der Einfuhr von Waren weniger als EUR 1 betragen. Damit wird faktisch eine neue Freigrenze von EUR 5.20 statt wie bisher von EUR 22 eingeführt. Diese Regelung gilt nur für Einfuhren von ausserhalb der EU nach Deutschland, nicht aber in andere EU-Staaten. Ob diese gegebenenfalls eigene Kleinbetragsregelungen erlassen haben, wäre fallweise zu prüfen.

6. Deutschland: Haftungsregelungen für Umsatzsteuer beim Warenhandel im Internet

Haftungsregeln für die Betreiber der elektronischen Schnittstellen sind in den nationalen Regelungen der einzelnen EU-Staaten verankert. Nachfolgend wird die deutsche Regelung dargestellt.

Die Haftung der Plattformbetreiber hat Deutschland bereits im Jahr 2019 eingeführt. Zum 01.07.2021 wurde im UStG der Begriff «elektronischer Marktplatz» durch den Begriff der «elektronischen Schnittstelle» ersetzt. Der Betreiber einer solchen elektronischen Schnittstelle haftet für die nicht entrichtete Umsatzsteuer aus der Lieferung eines Unternehmers. Eine Haftung ist ausgeschlossen in den Fällen, in denen der Betreiber einer elektroni- schen Schnittstelle selbst Schuldner der Umsatzsteuer ist (fiktives Reihengeschäft).

Die zum 01.01.2019 eingeführten Regelungen zu den Aufzeichnungspflichten sowie der Haftung wurden per 01.07.2021 ausgeweitet. Neu müssen Marktplatzbetreiber unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Aufzeichnungen führen, 10 Jahre lang aufbewahren und auf Anforderung des Finanzamtes elektronisch übermitteln.

Das Bescheinigungsverfahren mit Vordruck USt 1 TI wurde zum 01.07.2021 abgeschafft und durch die Aufzeichnung einer gültigen USt-IdNr. des Händlers ersetzt. Neu kann sich der Marktplatzbetreiber aus der Haftung insoweit befreien, als er nachweist, dass der liefernde Unternehmer zum Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige USt-IdNr. verfügt. Dies bedeutet, dass der Betreiber die ihm von dem bei ihm tätigen Unternehmer mitgeteilte USt-IdNr. aufzeichnet und regelmässig auf Gültigkeit überprüft. Betreiber von solchen elektronischen Schnittstellen sollten die nun geänderten Aufzeichnungs- und Prüfpflichten beachten.




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