Die Besteuerung von elektronischen und anderen Dienstleistungen an Private
8. Dez 2021, Recht & Steuern | Besteuerung

Die Besteuerung von elektronischen und anderen Dienstleistungen an Private ab dem 1. Juli 2021

Eine Auslegeordnung aus Schweizer und EU-Sicht

Die Mehrwertsteuer («MWST») im europäischen Raum, auch in Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union («EU») sind, folgt einer vergleichbaren Systematik. Dem Territorialitätsprinzip folgend, unterliegen Leistungen in einem Staat nur dann der Besteuerung, wenn sie gemäss den anwendbaren Regelungen zur Ortsbestimmung als im jeweiligen Staat erbracht gelten. Dem Leistungsort kommt damit in der MWST zentrale Bedeutung zu. Trotz der scheinbaren systematischen Einheitlichkeit der MWST im europäischen Raum, bestehen teils Unterschiede in der mehrwertsteuerlichen Behandlung, bspw. von Leistungen an Private («B2C»). Im vorliegenden Beitrag werden die Grundlagen zur Besteuerung von (elektronischen1) Dienstleistungen in der Schweiz2 und der EU dargestellt, gefolgt von einer Gegenüberstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie deren Bedeutung im Hinblick auf die Steuerpflicht.

1. Rechtliche Grundlagen in der Schweiz

1.1 Besteuerung von Dienstleistungen gemäss Mehrwertsteuergesetz («MWSTG»)
Seit dem 1. Januar 2010 statuiert das MWSTG das Empfängerortsprinzip für Dienstleistungen sowohl als Grund- wie auch Auffangtatbestand. Es kommt zur Anwendung, wenn keine spezielle Norm greift und gilt bspw. für elektronische Dienstleistungen.

Erbringt ein in der Schweiz steuerpflichtiges Unternehmen steuerbare Dienstleistungen, ist der Umsatz zum massgeblichen MWST-Satz durch den Dienstleister zu versteuern. Dies gilt unabhängig davon, welche gesetzliche Norm zur Bestimmung des Leistungsorts Anwendung findet, ob es sich beim Dienstleister um ein in- oder ausländisches Unternehmen handelt und ob der Leistungsempfänger ein Unternehmen (B2B) oder eine Privatperson (B2C) ist. Eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft (sog. Bezugsteuer gemäss MWSTG oder allgemein als «Reverse Charge» bezeichnet) kommt bei Leistungen eines bereits steuerpflichtigen Dienstleisters von vornherein nicht zur Anwendung.

Dem Empfängerortsprinzip unterliegende Dienstleistungen können nur dann Gegenstand der Bezugsteuer sein, wenn es sich beim Dienstleister um ein ausländisches Unternehmen handelt, das in der Schweiz (noch) nicht steuerpflichtig ist; eine Steuerpflicht des ausländischen Unternehmens wird durch das Erbringen von der Bezugsteuer unterliegenden Dienstleistungen nicht ausgelöst. Die Bezugsteuer kann unter diesen Voraussetzungen selbst in B2C-Verhältnissen zur Anwendung kommen (z.B. Leistungen eines ausländischen Anwalts an einen in der Schweiz wohnhaften Klienten).

1.2 Regelungen zur Besteuerung von elektronischen Dienstleistungen

Elektronische Dienstleistungen zeichnen sich, in Anlehnung an die Regelungen in der EU, durch die folgenden Eigenschaften aus: Sie werden über das Internet oder ein anderes elektronisches Netz erbracht, die Erbringung erfolgt automatisiert, mit minimaler menschlicher Beteiligung seitens des Leistungserbringers und die Dienstleistungen könnten ohne Informationstechnologie nicht erbracht werden. Beispielhaft sei das Bereitstellen von Software zum Download erwähnt.

Die elektronischen Dienstleistungen stellen den einzigen Bereich dar, in dem das MWSTG zwischen B2B- und B2C-Verhältnissen unterscheidet. In B2B-Verhältnissen gilt das in Ziff. 1.1 Gesagte, d.h. elektronische Dienstleistungen begründen für sich allein keine obligatorische Steuerpflicht eines ausländischen Dienstleisters; die Besteuerung erfolgt im Rahmen der Bezugsteuer, sofern der ausländische Dienstleister nicht bereits über eine MWST-Registrierung verfügt.

Bei elektronischen Dienstleistungen an Private kommt die Bezugsteuer hingegen nicht zur Anwendung. Solche Leistungen begründen grundsätzlich unmittelbar eine Steuerpflicht des ausländischen Dienstleisters in der Schweiz. «Unmittelbar» bezieht sich auf die bestehende Umsatzgrenze in Höhe von CHF 100'000 pro Kalenderjahr aus steuerbaren Leistungen. Sämtliche weltweit erzielten, an sich steuerbaren Umsätze gehören zum massgeblichen Umsatz für die Begründung der obligatorischen Steuerpflicht. In der Praxis wird damit ein ausländisches Unternehmen regelmässig ab dem «ersten Franken oder Euro» Umsatz mit elektronischen Dienstleistungen an Private in der Schweiz obligatorisch steuerpflichtig.

2. Rechtliche Grundlagen in der EU

2.1 Einleitende Bemerkungen

Nach gewissen Verzögerungen infolge der COVID-19-Pandemie ist am 1. Juli 2021 ein weiterer Regelungskomplex des sog. E-Commerce-Pakets in Kraft getreten, der u.a. neue Vorschriften für (elektronische) Dienstleistungen mit sich bringt. Elektronische Dienstleistungen sind gemäss Art. 7 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 Dienstleistungen, die über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz erbracht werden, deren Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informationstechnologie nicht möglich wäre.

2.2 Besteuerung von Dienstleistungen gemäss Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 18. November 2006 («Richtlinie»)

Im Regelfall bestimmt sich der Ort einer Dienstleistung in B2B-Verhältnissen nach dem Empfängerortsprinzip. Davon abweichend ist für den Ort einer Dienstleistung in B2C-Verhältnissen das Erbringerortsprinzip massgeblich, d.h. die Besteuerung erfolgt nicht im Ansässigkeitsstaat des Privaten, sondern in jenem des Dienstleisters. Eine weitere Sonderregelung besteht schliesslich, unter anderem, im Anwendungsbereich der elektronischen Dienstleistungen: In B2C-Verhältnissen kann das Empfängerortsprinzip zur Anwendung kommen. Diese Verlagerung vom Erbringer- zum Empfängerortsprinzip steht seit dem 1. Januar 2019 unter der Voraussetzung, dass B2C-Umsätze mit grenzüberschreitenden elektronischen Dienstleistungen in der EU die Umsatzgrenze von € 10'000 pro Kalenderjahr übersteigen; bei Privaten mit Wohnsitz ausserhalb der EU gilt das Empfängerortsprinzip grundsätzlich.3

2.3 MOSS-Regelung zwischen dem 1. Januar 2015 (1. Januar 2019) und dem 30. Juni 2021

Die in Ziff. 2.2 genannten Regelungen zum Leistungsort von elektronischen Dienstleistungen an Private haben zur Folge, dass sich ein Unternehmen, das elektronische Dienstleistungen erbringt, regelmässig in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten mehrwertsteuerlich registrieren müsste, in dem die Privatkunden ansässig sind. Mit Einführung der «kleinen einzigen Anlaufstelle» (MOSS) wurde den Unternehmen ermöglicht, im Rahmen von bloss einer MOSS-Registrierung (im Ansässigkeitsstaat der EU-Dienstleister bzw. freie Wahl bei nicht-EU-Dienstleistern) über sämtliche Umsätze mit elektronischen Dienstleistungen an Private zentral abzurechnen.

2.4 Neuregelung seit dem 1. Juli 2021

Mit Wirkung per 1. Juli 2021 wurde die «kleine einzige Anlaufstelle» zu einer «einzigen Anlaufstelle» (OSS) erweitert. Eine massgebliche Änderung besteht darin, dass seit dem 1. Juli 2021 nicht mehr nur elektronische, sondern sämtliche Dienstleistungen an Private im Rahmen des OSS deklariert werden können. Diese Möglichkeit besteht immer dann, wenn die Dienstleistungen aufgrund der anwendbaren Regelungen zum Leistungsort als in einem anderen EU-Staat erbracht gelten als dem Ansässigkeitsstaat des Dienstleisters. Wie schon unter dem MOSS besteht weiterhin die Möglichkeit, sich im Rahmen des Standardverfahrens in sämtlichen EU-Staaten mehrwertsteuerlich zu registrieren, in denen massgebliche Leistungen erbracht werden. Entscheidet sich aber ein Unternehmen zur Teilnahme am OSS, sind sämtliche Leistungen im Anwendungsbereich des OSS zwingend über diese einzige Anlaufstelle abzurechnen. Die OSS-Regelungen im Bereich der Dienstleistungen gelten in selbem Masse für EU-ansässige wie auch für nicht in der EU ansässige Dienstleister.

3. Vergleich und Bedeutung für Unternehmen in der Schweiz und der EU

Vergleicht man die Bestimmungen zur mehrwertsteuerlichen Behandlung von Dienstleistungen in B2C-Verhältnissen in der Schweiz und der EU, lassen sich die Erkenntnisse in Bezug auf den Leistungsort folgendermassen zusammenfassen:

  •  Anders als in der Schweiz unterliegen in der EU Dienstleistungen an Private besonderen Regelungen zum Leistungsort.
  • Bei elektronischen Dienstleistungen an Private gilt sowohl in der Schweiz als auch in der EU das Empfängerortsprinzip.
Dies führt zu folgenden Konsequenzen in Bezug auf die Steuerpflicht von Dienstleistern, die nicht im selben Staat wie die Privatkunden ansässig sind:
  1. Elektronische Dienstleistungen: Grundsätzlich unmittelbare Steuerpflicht im Ansässigkeitsstaat des Privaten (EU / Schweiz).
  2. Andere Dienstleistungen4, die aufgrund besonderer Bestimmungen als in einem anderen Staat wie jenem des Dienstleisters erbracht gelten: Grundsätzlich unmittelbare Steuerpflicht (EU / Schweiz).
  3. Andere Dienstleistungen ohne besondere Bestimmungen zum Leistungsort: Keine Steuerpflicht im Ansässigkeitsstaat des Kunden (EU / Schweiz).
Die Auswirkungen gemäss Bst. 1) und 2) können eine Steuerpflicht in sämtlichen EU-Staaten nach sich ziehen. Entscheidet sich ein Unternehmen deshalb für den OSS, sind sämtliche dieser einzigen Anlaufstelle unterliegenden Dienstleistungen (Bst. 1) und 2)), sowie sämtliche massgeblichen Lieferungen (Fernverkäufe) im Rahmen des OSS abzurechnen.
 
Im Bereich der Dienstleistungen an Private führt die neue einzige Anlaufstelle zweifelsohne zu administrativen Erleichterungen für EU und Schweizer Dienstleister. Mit Hinweis auf unterschiedliche Liefertatbestände, die gegebenenfalls vom OSS erfasst sein können, besteht aber weiterhin ein hohes Mass an Komplexität innerhalb der EU, wenn Fragen rund um die Steuerpflicht in mehreren EU-Staaten zu klären sind.

1 Elektronische und Telekom-Dienstleistungen werden vorliegend einheitlich als «elektronische Dienstleistungen» bezeichnet.
2 Die Begriffe Schweiz und Inland (letzteres inklusive Fürstentum Liechtenstein) werden zugunsten der Lesbarkeit synonym verwendet.
3 Sonderregelungen infolge use-and-enjoyment (Art. 59a Richtlinie) werden vorliegend nicht behandelt.
4 Z.B. Dienstleistungen auf den Gebieten der Kultur, des Unterrichts, der Kunst oder des Sports.




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