Meilenstein für die Schweiz
12. Mär 2014, Recht & Steuern | Freizügigkeitsabkommen

Meilenstein für die Schweiz

Am 1. Juni 2002 ist das Freizügigkeitsabkommen als eines der Unterabkommen der sog. Bilateralen Verträge I zwischen den EU Mitgliedstaaten und der Schweiz in Kraft getreten. De facto wurde hierdurch die Personenfreizügigkeit auch auf den Drittstaat Schweiz ausgedehnt.

Mit dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) wird natürlichen Personen unter anderem das Recht auf Einreise, Aufenthalt und Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien eingeräumt – d.h. eine Niederlassung wurde faktisch im selben Umfang wie in Art. 43 EG-Vertrag (heute Art. 49 AEUV) gewährt bzw. zugestanden.

Mangels Einschränkung betrifft die faktische Ausdehnung der Personenfreizügigkeit unter anderem auch den Bereich der Steuern. Die deutsche Finanzverwaltung sah dies bisher aber anders. Durch das EuGH-Urteil vom 28.Februar 2013 in der Rechtssache Ettwein (Az.: C-425/11), wurde erstmals die vielbeachtete Schumacker-Rechtsprechung des EuGHs auf die Schweiz übertragen. Grundlage waren die o.g. Regelungen im FZA. Das Schumacker Urteil mündete in Deutschland in die Regelung des § 1a Einkommensteuergesetz (EStG). Diese fanden bisher nur Anwendung für in der EU/EWR Ansässige, nicht aber bei Ansässigkeit in der Schweiz.

Der Fall Ettwein

Die Eheleute Ettwein, deutsche Staatsangehörige, waren seit dem 1. August 2007 in der Schweiz ansässig. Die gesamten steuerpflichtigen Einkünfte wurden aber weiterhin in Deutschland erwirtschaftet. Die Ehefrau war selbständige Unternehmensberaterin und der Ehemann selbständiger Kunstmaler. Im entschiedenen Fall beantragten die Eheleute Ettwein mit der Einkommensteuer-Erklärung 2008 die Zusammenveranlagung unter Anwendung des steuerlich günstigen Splittingtarifs. Dieser Antrag wurde letztendlich mit der Begründung abgelehnt, dass die Schweiz nicht zum EU/EWR-Raum gehöre und damit die Voraussetzungen des § 1a EStG nicht erfüllt sind. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wurde Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg erhoben.

Das daraufhin angerufene Finanzgericht Baden-Württemberg legte mit Beschluss vom 7.Juli 2011 dem EuGH die Frage vor, ob die Nichtgewährung der Zusammenveranlagung bzw. des Splittingtarifs gegen das FZA verstosse. Der EuGH bejahte dies und entschied erstmalig, entgegen der Auffassung der EU-Kommission und der deutschen Regierung, dass die Nichtgewährung gegen das FZA verstosse und die EU-Mitgliedstaaten in der Schweiz ansässige selbstständige Grenzgänger dieselben steuerlichen Vergünstigungen (hier Gewährung des Splittingtarifes) einzuräumen haben wie Inländern. Neben der früheren Rechtssache Schumacker verwies der EuGH dabei auch auf die Urteile in den Rs. Asscher und Wielockx.

Bundesfinanzministerium reagiert schnell

Mit Schreiben vom 16. September 2013 zum ergangenen EuGH-Urteil (sog. BMF-Schreiben), hat das Bundesfinanzministerium der Finanzen (im Folgenden: BMF) überraschend schnell Stellung genommen – und die Regelung bereits in das nationale deutsche Gesetz übernommen (vgl. § 1a Abs. 1 EStG). Diese findet Anwendung für noch alle nicht bestandskräftigen Fälle.

Im Hinblick auf die Auslegung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit gilt für die Anwendung von § 1a Absatz 1 EStG einerseits (d.h. u.a. Anwendung des Splittingtarifes) sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits und nach Massgabe des o.g. Urteils somit Folgendes:

§ 1a Absatz 1 EStG ist auch anwendbar bei Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates – auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, wenn

  1. der Empfänger der Unterhalts-/Vorsorgeleistungen,
  2. die ausgleichsberechtigte Person oder 
  3. der Ehegatte/Lebenspartner, welche nicht dauernd getrennt leben

seinen/ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Dies gilt für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle.

Anwendung für weitere Bereiche vorprogrammiert

Auf Basis des Ettwein-Urteils könnte die EuGH-Rechtsprechung, die auf der Personenfreizügigkeit basiert, auch im Verhältnis zur Schweiz Anwendung finden – auch wenn es sich um ein erstes Urteil handelt. Aus der Urteilsbegründung des EuGH wird ersichtlich, dass er die Grundsätze der Personenfreizügigkeit uneingeschränkt anwenden möchte. Das sehr schnell verfasst BMF-Schreiben vom 16. September 2013 scheint ein Versuch des BMF zu sein, etwaige Diskussionen von Beginn an zu vermeiden.

Hiervon sollte man sich aber nicht beeindrucken lassen und den Rechtsweg suchen, wenn es zur Einschränkung der Personenfreizügigkeit im Verhältnis zur Schweiz kommt. Mögliche Bereiche, die hier betroffen sein könnten, sind unter anderem:

  1. unselbstständige Grenzgänger;
  2. Wegzugsfälle (bspw. § 6 AStG);
  3. grundsätzlich alle Regelungen, die bisher nur für in der EU / EWR Ansässige galten.

Auch wenn das Urteil in der Rs. Ettwein konkret Deutschland - Schweiz betraf, sind hiervon grundsätzlich alle EU/EWR Mitgliedstaaten in ihrem Verhältnis zur Schweiz erfasst - also bspw. auch Frankreich, Österreich, Italien und Liechtenstein.

Die Rs. Ettwein könnte ein Meilenstein sein wie einst das Schumacker-Urteil selbst – eines der ersten Urteile, die der EuGH zu einer Steuernorm gesprochen hat. Die nationalen Steuergesetze der Mitgliedstaaten hat die EuGH-Rechtsprechung seither massgeblich beeinflusst und viele weitreichende Änderungen hervorgerufen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die jeweiligen EU/EWR Mitgliedstaaten dieser Entwicklung nicht ohne Widerstand folgen werden – ggfs. wird daher der Rechtsweg notwendig sein. Die Rechtssache Ettwein zeigt aber, dass dieser erstrebenswert sein kann.

(Bildquelle: © shironosov/iStockphoto)




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