Vereinsrecht in Deutschland und der Schweiz
6. Feb 2020, Recht & Steuern | Vereinsrecht

Vereinsrecht in Deutschland und der Schweiz

Vereine sind in Zivilgesellschaften, die eine Vereinigungsfreiheit kennen, weitverbreitet und zahlreich. Vereinsrecht ist Teil des Gesellschaftsrechts, Vereine sind in erster Linie Gesellschaften zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Zwecke. Das Vereinsrecht deutschsprachiger Länder ähnelt sich, allerdings sind manch frappierende Unterschiede erkennbar. Nachfolgend werden die Grundzüge des deutschen und schweizerischen Vereinsrechts kurz erläutert.

Rechtsgrundlagen

Geregelt ist das Recht der Vereine in unterschiedlicher Weise. Die Artikel 60 bis 79 ZGB 1 regeln in ähnlicher Weise wie die §§ 21 ff. BGB das Recht der Vereine. Grundsätzlich wird zwischen Idealvereinen (ohne wirtschaftlichen Zweck) und Wirtschaftsvereinen (Vereine mitwirtschaftlichem Zweck) unterschieden. Allerdings wird diese Differenzierung unterschiedlich interpretiert und es werden unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen. Die Schweiz verfolgt bei der Vereinsklassenabgrenzung eine eher grosszügige Linie. Hauptpunkt der Kritik ist die Qualifikation der Wirtschaftsverbände als Idealvereine.2

Zwecke und Funktionen

Die Variationen des bürgerschaftlichen Engagements spiegeln sich in der Vielfalt der Vereinslandschaft: Ob Gesangs- oder Turnvereine, sowieso die fast 100.000 Sportvereine, Kleingarten- und Tierzuchtvereine aller Arten: Fast jeder Deutsche ist in (mindestens) einem Verein organisiert. Sogar Familien können in einem (Familien-) Verein organisiert sein. Politisches Engagement bedient sich in der Form von Parteien ebenfalls der Rechtsform des Vereins, auch zahlreiche Handelskammern, Landkreistage oder die Max-Planck-Gesellschaft. Von einem Verein kann ein gemeinnütziger, wohltätiger, gesundheits-, berufs- oder bildungsfördernder, wissenschaftlicher, künstlerischer, sportlicher oder rein geselliger Zweck verfolgt werden. Zahlenmässig sind Sportvereine wohl führend, gefolgt von Freizeit-, Wohlfahrts- und Kulturvereinen.3 Das etwas provinzielle, kleine und heimelige Image vieler Vereine wird durchriesige Organisationen wie DFB, DOSB, ADAC oder DGB Lügen gestraft, die nicht nur über eine Mitgliederzahl in Millionenhöheverfügen, sondern deren wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bedeutung auch enorm ist.

Zahlen und Fakten

Im November jeden Jahres wird in Deutschland die Zahl der bei den Amtsgerichten (Vereinsregistern) registrierten eingetragenen Vereine veröffentlicht. Per 31.12.2018 waren dies über 600.000, hinzukommen die auf ca. 350.000 geschätzten sog. nichteingetragenen Vereine. In der Schweiz war ebenfalls eine Steigerung bei der Anzahl der Vereine zu verzeichnen (2018: 9.485; 2017: 9.117).

Rechtsfähigkeit

Eingetragene Vereine erhalten durch die Eintragung in das Vereinsregister (firmierend unter «e.V.») ihre Rechtsfähigkeit. Die nichteingetragenen Vereine wurden bisher als nichtrechtsfähige Vereine bezeichnet. Da deren Rechtsfähigkeit dem eingetragenen Verein in den letzten Jahren weitestgehend angeglichen wurde, unterscheidet sie sich fast nur durch die Eintragung. Für die Rechtsfähigkeit entscheidend ist jedoch, ob ein wirtschaftlicher bzw. gewerblicher Zweck von dem Verein verfolgt wird. Erlangt in Deutschland ein Verein, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, nach § 22BGB Rechtsfähigkeit nur durch staatliche Verleihung, so ist in der Schweiz, in Liechtenstein und in Österreich ein Verein mit einem solchen Zweck per se nicht eintragungs- und damit auch nichtrechtsfähig. Zulässig ist eine wirtschaftliche Betätigung lediglich als Nebenzweck, um so den ideellen Zweck zu erreichen. Dies entspricht damit der praktischen Handhabung im deutschen Recht. In der Schweiz sind Vereine mit einem solchen wirtschaftlichen Nebenzweck nach Art.61 ZGB zur Eintragung ins Handelsregisterverpflichtet. Ist der Hauptzweckeines Vereins wirtschaftlicher bzw. gewerblicher Art, so ist dieser nach allen vier deutschsprachigen Rechtsordnungen nach dem Recht der GbR (Deutschland),GesnbR (Österreich) bzw. einfachen Gesellschaften(Schweiz und Liechtenstein)zu behandeln. Ist die Gesellschaft nachdem Recht der Schweiz, Österreichs und Liechtensteins nicht rechtsfähig, so ist sie in Deutschland rechtsfähig, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.4

Gründung

Immer noch umstritten ist die sehr naheliegende Frage, wie viele Personen es braucht, um einen Vorverein zu gründen. Das Meinungsspektrum reicht von einerPerson,5 zwei Personen bis zu drei Personen. Letztere Auffassung ist wohl die vorzugswürdige, da nicht nur der Vertragsschluss im Vordergrund steht, durch den der Verein gegründet wird, sondern das Mehrheitsprinzip, das sich nur formal und in Ausnahmefällen auf zwei Personenreduzieren lässt. Nach der Errichtung des Vereins ist ausserdem (mehrheitlich)ein Vorstand zu wählen. Im Wesentlichen kommt es hierbei auf die volle Funktionsfähigkeit des Vereins an, der auch vom Registergericht bei der Eintragung geprüft wird (§ 56 BGB) und begrifflich(«Körperschaft») vorausgesetzt wird. Auch § 73 BGB, nach dem der Verein bei Herabsinken der Mitgliederzahl auf unterdrei Personen gelöscht werden kann, wird wohl mit dem Gedanken an die Funktionsfähigkeit normiert worden sein.

Zwingende Organe

Zwingend notwendig für das Bestehen eines Vereins ist der Vorstand (der aus einer einzigen Person bestehen kann) und die Mitgliederversammlung. Grundsätzlich ist diese das sog. höchste Organ des Vereins.7 Die Mitgliederversammlung an sich ist nicht abdingbar, also ein zwingen des Organ. Vereinfacht gesagt bestimmt die Mitgliederversammlung alles, was nicht vom Vorstand (oder einemanderen Organ, das von der Satzung hierfür vorgesehen ist) zu erledigen ist. Nacheiner teilweise geäusserten Auffassung müssten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften allerdings keine Mitgliederversammlung bilden. Die Mitgliederversammlung sei ein sog. Innenorgan; damit käme das originäre Selbstbestimmungsrecht der verfassungsrechtlich besonders privilegierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Zuge, das von einer Mitgliederversammlung absehen könne.8 Diese Meinungen sind abzulehnen; sie müssen sich fragenlassen, ob sie den Bereich des § 25 BGB verlassen und in den Bereich des «Fehlgebrauchs» oder gar des Missbrauchs der Rechtsform Verein hineingeraten.9

Haftungsfragen

Nach Art. 55 ZGB sieht auch das schweizer Recht 10die Haftung des Vereins für seine Organe vor. Als Organ i.S.d. ZGB werden alle im Gesetz und in den Statutenvorgesehenen Organe wie auch alle faktischen Organe angesehen. Eine darüberhinausgehende Haftung der Organmitglieder ergibt sich aus Art. 55 Abs. 3ZGB i.V.m. Art. 41 OR. Für die persönliche Haftung der Organmitglieder gegen überdem Verein wird das Auftragsrecht in Art.97 ff. OR analog angewandt 11.Die Regelung zur Entlastung des Vorstands durch Beschluss der Mitgliederversammlung ist in Art. 65 Abs. 2 ZGB zur deutschen Regelunggleichlaufend.12

Satzung

Die Satzung ist Kernstück der Vereinsverfassung; sie hat eine vertragliche und körperschaftliche Funktion, vor allem aber eine wesentliche Gestaltungsfunktion, da eben alle das Vereinsleben bestimmenden Grundentscheidungen in der Satzung enthalten sein müssen, um wirksam zu werden. Da eine gewisse Anzahl von Entscheidungen vom Gesetzgeber den Vereinen vorgegeben werden (s.§§ 57, 58 und 60 BGB), sind eben einige Grundentscheidungen vom Satzungsgeber zu treffen.13 Darüber hinaus gibt es keinen gesetzlichen Gestaltungszwang, sehr wohl aber in der heutigen Zeit einen Gestaltungszwang hinsichtlich einer vernünftigen Ausgestaltung der inneren Verhältnisse des Vereins, um den verschiedenen Pflichten und der sog. Good Governance und der Compliance Genüge zu tun. Die Mitglieder müssen in der Satzung klar und eindeutig über ihre Rechte und Pflichten informiert werden.

Gemeinnützigkeit

Ob der Verein gemeinnützige Zwecke verfolgt oder nicht entscheidet er selbst. Erfüllt er die (steuerlichen) Kriterien der §§ 51 ff. Abgabenordnung, wird er privilegiert und von der Zahlung der meisten Steuern befreit. Gemeinnütziges Handeln ist bei den meisten Vereinen ein identitätsstiftendes Merkmal und hat eine typisierende Wirkung. Daher hat auch der Bundesgerichtshof in seinen Grundsatzentscheidungen vom 16.05.2017, den sog. Kita-Beschlüssen, die Sonderrolle des Steuerrechts hervorgehoben: Die Anerkennung als gemeinnützig sei ein Indiz dafür, dass der Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und daher in das Vereinsregistereingetragen werden kann, § 21 BGB. Der BGH wiederholt die Voraussetzungen für das Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes und des Nebenzweckprivilegs.14 Die wirtschaftliche Tätigkeit sei in diesem Fall jedoch dem wirtschaftlichen Hauptzweck zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung. Für die Beurteilung dieser Frage ist die Anerkennung als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO von entscheidender Bedeutung. Zwar sind die Voraussetzungen der Anerkennung der §§ 51 ff. AO nichtautomatisch gleichbedeutend damit, ob ein Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 21 BG Bausgerichtet ist. Eine starke Indizwirkung kommt diesem Umstand gleichwohl zu.15

1 Zum Schweizer. Recht: Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl., Basel 2014, Hrsg. Honsell/Vogt/Geiser, bearb. von Heini und Scherer. Spezialliteratur:Portmann, Schweizerisches PrivatrechtII/5, Das Schweizerische Vereinsrecht, 3. Aufl. 2005;Opel, Zeit für Veränderungen im schweizerischenGemeinnützigkeitsrecht, npoR 2017, 240; Haas/Fitzi,Die Behandlung wirtschaftlich tätiger Vereine imSchweizer Recht, npoR 2018, 208.
2 Zum deutschen Recht: Münchner Kommentar zumBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, Vor § 21, Rn. 172 f.
3 Weitere Bsp. in Wagner, Verein und Verband, Stuttgart2018, Rn. 5; aktuell Ley, Ehrenamtliches Engagement aus arbeitsrechtlicher Sicht, Diss. Passau 2018.
4 BGH 29.01.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056.
5 Übersicht in Wagner, Verein und Verband, Stuttgart2018, Rn. 80.
6 Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, Kap.2 Rn. 19, 26 m.w.N.
7 Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, Kap.2 Rn. 1114 ff., 1139 ff.
8 Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, Kap.2 Rn. 1118 m.w.N.
9 Wagner, NZG 2015, 1377 a.E.
10 Grundlegend u. a. Heini/Portmann/Seemann,Grundriß des Vereinsrechts, Basel, 2009; zuvor Heini/Portmann, Das schweizerische Vereinsrecht,3. Aufl. 2005; Scherrer/Greter, Der Verein in der Praxis, Zürich, 2007; Purtschert, Die zivilrechtlicheVerantwortlichkeit des ehrenamtlichen Vereinsvorstandes, Zürich, 2012; Jakob/Brugger u. a., Verein,Stiftung, Trust: Entwicklungen 2015, Bern 2016;Scherrer, Wie gründe und leite ich einen Verein?,12. Aufl., Zürich, 2009; zu Aufnahmeverfahren s.Scherrer, Aufnahmeverfahren in Sportverbände amBeispiel der FIFA, Causa Sport 2016, 99.
11 Heini/Portmann/Seemann, Schweiz – Grundrissedes Vereinsrechts, 2009, Rn. 338, 339.
12 Näheres s. Plüss/Pair, Die Haftung der Vereins- undStiftungsorgane in der Schweiz, ZStV 2016, 166.
13 Wagner; Verein und Verband, Stuttgart 2018, Rn.192 ff.
14 BGH 16.05.2017 – II ZB 7/16, Rn. 19 mit Verweis auf BGH 29.09.1982 – I ZR 88/80, BGHZ 85, 84, 92 f.,NJW 1983, 569.
15 BGH 16.05.2017 – II ZB 7/16, Rn. 23 u. a. mit Verweisauf Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht,Kap. 2 Rn. 101 und Wagner, steueranwaltsmagazin2019, 147 und NZG 2019, 46; zusammenfassendLeuschner NJW 2017, 1919.




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