Smart Contracts in der Rechtspraxis
20. Feb 2020, Recht & Steuern | Smartcontracts

Smart Contracts in der Rechtspraxis

Wir leben in einer Zeit, in der die Digitalisierung zu einem entscheidenden Treiber für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Ressourcenoptimierung geworden ist. In diesem Zusammenhang wird viel von der Distributed Ledger Technologie (DLT) und der Blockchain-Technologie berichtet, die neue Entwicklungspotenziale für sogenannte Smart Contracts eröffnen.

Smart Contracts können mit Hilfe einer passenden Software einen automatischen Vertragserfüllungsprozess ermöglichen. Auch die Rechtswissenschaft in der Schweiz befasst sich mit einer potentiellen Verankerung von Smarts Contracts in das schweizerische Privatrecht, da der rechtliche Rahmen des allgemeinen Vertragsrechts durch den Einsatz von Software-Algorithmen erweitert wird.Der vorliegende Artikel dient einem überblicksartigen Einstieg in die Thematik und greift die vertragsrechtlichen Aspekte auf, um kurz aufzuzeigen, ob ein regulatorischer Handlungsbedarf von Seiten des nationalen Gesetzgebers besteht.

Die Definition von Smart Contracts

Die Grundidee der Smart Contracts an sich ist keine neuzeitliche Erscheinung. So verfasste Nick Szabo, ein amerikanischer Jurist, Computerwissenschaftler und Kryptograph, bereits im Jahr 1994 einen Beitrag über Verträge, bei denen ein Softwaretransaktionsprotokoll die vordefinierten Vertragsbedingungen selbstständig ausführen könnte. Er veranschaulichte seine Begriffserklärung am Beispiel eines Warenautomaten, der beim Einwurf einer Münze automatisch ein Produkt herausgibt. Ein Smart Contract kann hingegen in einer komplexeren Art und Weise autonom die Vertragsbedingungenüberprüfen, deren Erfüllung sicherstellen und die Vertragsdurchsetzung gewährleisten.

Im internationalen Umfeld hat sich bis anhin noch keine einheitliche Definition des Smart Contracts etabliert.3 Der Bundesrat definiert den Smart Contract als «ein Computerprotokoll, meist basierend auf einem dezentralen Blockchainsystem,  das die automatisierte Vertragserfüllung zwischen zwei oder mehreren Parteien mit vorgängig codierten Angabenermöglicht.»4 Die Schlüsselfunktion von Smart Contracts liegt somit einerseits in der Aufzeichnung von Parteivereinbarungen auf eine Blockchain und andererseits auf der automatischen Ausführung der notwendigen Vorgänge, sobald bestimmte, im Voraus festgelegte, Bedingungen erfüllt sind. Durch die Blockchain kann der Inhalt des Smart Contracts grundsätzlich nicht mehr verändert werden. Eine weitere entscheidende Funktion ist die selbständige Vertragsdurchsetzung. Die Unveränderlichkeit einerseits und die selbständige Vertragsdurchsetzung andererseits ergänzen die klassischen Vertragsformen und eröffnen die Möglichkeit, Märkte zu erschliessen, in denen es bisher mangels Vertrauen oder Distanz kaum möglich war, Verträge in irgendeiner Form abzuschliessen.

Smart Contract mit Escrow – Funktionen als Anwendungsbeispiel

Hauptfunktion eines Escrow Agreements ist die Sicherung einer Forderung eines Gläubigers und den Vollzug des Hauptgeschäftes. Kombiniert man die Hauptfunktion eines Escrow Agreements mit der Schlüsselfunktion von Smart Contracts,entstehen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten.

Ein Smart Contract kann einerseits als Ersatz eines Escrow-Agents benutzt werden oder andererseits als Instrument für die Abwicklung eines Escrowgeschäfts dienen.

Im ersten Fall benutzen die Vertragsparteieneinen Smart Contract für die Bindung von Vermögenswerten, ohne eine natürliche oder juristische Personals Drittpartei. Die Vertragsparteien definieren das zahlungsauslösende Ereignismittels einer Software in eine Blockchain. Anschliessend verarbeitet der Smart Contract autonom die bestimmbaren Daten auf der Blockchain und führt entsprechende Transaktionen durch.

Im zweiten Fall benötigt der Smart Contract Informationen ausserhalb der Blockchain, um die definierte Transaktion auszulösen. Solche Smart Contracts werden für jene Fälle verwendet, bei denen transaktionsauslösende Ereignisse vom Ermessen einer Drittperson oder von Informationen technischer Bauteile, wie z. B. Sensoren, abhängig sind.

Die rechtlichen Herausforderungen
Smart Contracts werden die klassischen Verträge bzw. das Vertragsrecht niemals vollständig verdrängen und ersetzen können.6 Sie dienen mehr der Ergänzung oder Vereinfachung von komplexen Geschäften. Der Einsatz von Smart Contracts ist allerdings auch mit Risiken verbunden. Die Unveränderlichkeit und die autonome Vertragsdurchsetzung setzt eine fehlerfreie Programmierung des Smart Contracts voraus. Dies ist jedoch mit der zunehmenden Komplexität der beabsichtigten Vertragsinhalte schwer zu erreichen, da bei komplexen Transaktionen eine grössere Menge an Programmcodes notwendig sind und sich fehlerhafte Elemente einschleichen werden.7

Es stellt sich somit die Frage, ob und welche Leistungsstörungsrechte greifen, wenn es zu einem Programmierfehler kommt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den autonomen Smart Contracts, die eine Drittperson ersetzen und diejenigen, die als Instrument für die Abwicklung von Geschäften benutzt werden. Die nicht autonomen Smart Contracts sind immer abhängig von Informationen ausserhalb der Blockchain.
 
Beim autonomen Smart Contract besteht nur die Möglichkeit einer Schlechterfüllung wegen Programmierfehler. Ein Programmierfehler führt zur einer unerwünschten Handlung des Smart Contracts und somit zu einer Differenz zwischen dem Resultat und der eigentlich gewollten Leistungserfüllung. Fraglich ist nun, wer das Risiko für einen Programmierfehler trägt. Ein Lösungsansatzwäre, dass die Partei, welche mehr Erfahrung mit Smart Contracts hat oder diese für das entsprechende Vertragsverhältnisofferiert hatte, das Risikoalleine trägt.8
 
Wenn ein Smart Contract mit Escrow Funktion also eine Zahlung tätigt, obwohl eine tatsächlich gewünschte Vertragsbedingung eine andere gewesen wäre, würde die Partei das Risiko tragen, welche für die Vertragsbeziehung den Smart Contract vorgeschlagen hat. Allerdings könnte dagegen eingewendet werden, dass die Gegenpartei die Zustimmung für die Verwendung des Smart Contracts gegeben hat und es unverhältnismässig wäre, die Risikotragung nur auf eine Partei zu wälzen. Um die Risikotragung bei Programmierfehler verhältnismässiger zu gestalten, ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien empfehlenswert.
 
Weiter sind bei autonomen Smart Contracts Leistungsunmöglichkeiten denkbar, so zum Beispiel, wenn von Anfang an auf digitale Daten verwiesen wird, die gar nicht existieren oder über die man gar nicht verfügt. Aber auch wenn aufgrund einer technischen Fehlfunktion nachträglich Daten untergehen und die Blockchain nicht mehr funktionsfähig ist. Auch in solchen Fällen sollten die Parteien gemeinsam das Risiko übernehmen, da sich beide Parteien nicht in die Handlungen des Smart Contracts als autonomes Konstrukt einmischen können.
 
Verzugsproblematiken hingegen sind weitestgehend ausgeschlossen, weil ein autonomer Smart Contract gerade die automatisierte Vertragserfüllung garantiert. Sobald der Smart Contract hingegen als Instrument für die Abwicklung eines Geschäftes eingesetzt wird, leben wieder alle möglichen Leistungsstörungen auf. Sei es, weil die Drittperson die Sachlagefalsch ausgelegt und falsche Informationenweitergegeben hat oder weil ein Sensoreine Fehlfunktion aufweist. In solchen Fällen ist nach den Leistungsstörungsrechtendes Schweizerischen Obligationenrechtsvorzugehen, da die Quelle der Störung ausserhalb der Blockchain liegt.
Fazit

Gerade in punkto Programmierfehler bei Smart Contracts stossen die bestehenden Leistungsstörungsrechte nach Schweizerischem Obligationenrecht an ihren Grenzen. Insbesondere, wenn der Smart Contract lediglich über digitale Daten verfügt und unabhängig von Handlungen oder Transaktionen aus der physischen Welt funktionieren soll, wären zugeschnittene Lösungsmodalitäten von Vorteil. Es braucht aus unserer Sicht eine gesetzliche Anpassung, um den Smart Contract in die Rechtsordnung zu integrieren. Bis dahin wird den Parteien eine zusätzliche schriftliche Vereinbarung betreffend Risikotragung bei Programmierfehlern empfohlen.

1 Siehe CHRISTOPH MÜLLER, Die Smart Conracts aus Sicht des Schweizerischen Obligationenrechts, in: ZBJV 155/2019, S. 330 ff.; ANDREAS FURRER, Die Einbettung von Smart Contracts in das schweizerische Privatrecht, in: Anwaltsrevue 2018 S. 103 ff.;MEYER / SCHUPPLI, «Smart Contracts» und deren Einordnung in das schweizerische Privatrecht, in: Recht 2017, S. 204 ff,
2 NICK SZABO, Formalizing and Securing Relationshipson Public Networks, 1997.

3 Vgl. FRANCESCO A. SCHURR, Anbahnung, Abschluss und Durchführung von Smart Contracts im Rechtsvergleich, in: ZVgIR Wiss 2019, S. 257ff.
4 Bericht des Bundesrates vom 14.12.2018, Rechtliche Grundlagen für Distributed Ledger-Technologie und Blockchain in der Schweiz.
5 Vgl. GLARNER / MEYER, Smart Contracts in Escrow-Verhältnissen, in: Jusletter vom 4. 12. 2017.
6 FLORIAN MÖSLEIN, Smart Conracts im Zivil- und Handelsrecht, in: ZHR 183 (2019), S. 254 ff.
7 ROLF H. WEBER, Smart Contracts: Vertrag- und verfügungsrechtlicher Regelungsbedarf, in: sic! 2018, S.291 ff.
8 MÜLLER / SEILER, Smart Contracts aus Sicht des Vertragsrechts, in: AJP 2019, S. 317 ff.




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