Für die Handelskammer Deutschland-Schweiz ist die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen Schweiz-EU von besonders grosser Bedeutung
18. Mai 2022, Wirtschaft | Aussenwirtschaft

Der Aussenwirtschaftsverkehr Deutschland-Schweiz 2021 und die Perspektiven zu Beginn des Jahres 2022

Der Aussenhandel Deutschland-Schweiz 2021

Der Aussenwirtschaftsverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz konnte sich im Jahr 2021 vom Einbruch des Vorjahres gut erholen. Im zweiten «Corona-Jahr» schloss das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern mit einem wertmässigen Zuwachs von 10,2 % im Vergleich zum Vorjahr ab.

Das Plus in beiden Handelsrichtungen war nahezu gleich verteilt: Die Exporte der Schweiz nach Deutschland stiegen um 9,0 % auf 44,0 Mrd. CHF und die Importe stiegen um 11,2 % auf 55,0 Mrd. CHF über das Vorjahr.

Dennoch waren die Auswirkungen der Pandemie direkt spürbar. Der Güterverkehr konnte während des ganzen Jahres zwar weitgehend frei zirkulieren, doch mussten zeitweise erhebliche Unterbrechungen der Lieferketten in den industrienahen Branchen, wie der Maschinen-, Apparate-, Anlagen-, Elektronik- sowie Metall- und der Zulieferindustrie hingenommen werden.

Auch der unternehmensnahe Dienstleistungsverkehr sowie die personennahen Branchen mussten immer wieder Rückschläge hinnehmen, da der Geschäftsreiseverkehr durch die Schutzmassnahmen gegen die Pandemie zeitweise beeinträchtigt war. Ob der Unsicherheit über die gesicherte Fertigstellung von Aufträgen und möglicherweise entstehenden Gewährleistungsrisiken, verhielten sich viele Anbieter zurückhaltend bei der Annahme von Aufträgen. Da viele Dienstleistungen auch in Verbindung mit Güterexporten, z.B. beim Liefern und der Inbetriebnahme von Anlagen, erfolgen, wurde auch der grenzüberschreitende Warenaustausch beeinträchtigt. Das betraf auch wichtige Akquisitions- und Vertriebswege. Auch auf den Messeplätzen der Schweiz und Deutschlands fanden deutlich weniger Präsenzveranstaltungen statt.

USA löst Deutschland als Exportmarkt Nr. 1 der Schweiz ab

17,0 % der Schweizer Exporte wurden 2021 nach Deutschland geliefert und 27,4 % der Schweizer Importe wurden aus Deutschland bezogen. Mit einem Handelsvolumen von 99 Mrd. CHF blieb Deutschland zwar der wichtigste Handelspartner der Schweiz, doch erstmals seit 1954 lösten im vergangenen Jahr die USA Deutschland als grössten Exportmarkt der Schweiz ab. Eine Folge der immer stärkeren Konzentration der Schweizer Exporte auf die Pharma- und Chemiebranche, welche inzwischen 64 % der Exporte in die USA ausmachen. Deutschland steht jedoch immer noch in der Rangliste der wichtigsten Beschaffungsmärkte der Schweiz mit grossem Abstand an erster Stelle.

80 % der Schweizer Exporte betreffen die 4 Warenarten:

Exporte der Schweiz nach Deutschland 2021 und Veränderung zum Vorjahr in Prozent
– Chemische und pharmazeutische Produkte 18,0 Mrd. CHF und 3,8 %
– Maschinen, Anlagen, Elektronik 7,6 Mrd. CHF und 10,5 %
– Präzisionsinstrumente, Uhren 4,8 Mrd. CHF und 12,7 %
– Metalle und Metallwaren 5,0 Mrd. CHF und 25,3 %

65 % der Schweizer Importe betreffen die 4 Warenarten:

Importe der Schweiz aus Deutschland 2021 und Veränderung zum Vorjahr in Prozent
– Chemische und pharmazeutische Produkte 14,1 Mrd. CHF und 4,2 %
– Maschinen, Anlagen, Elektronik 9,2 Mrd. CHF und 7,8 %
– Fahrzeuge 6,3 Mrd. CHF und 2,3 %
– Metalle und Metallwaren 6,6 Mrd. CHF und 21,6 %

Direktinvestitionen auf Rekordniveau

Die Investitionen folgen den Exporten. Das gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz. Für beide ist der jeweils andere Wirtschaftsstandort sehr attraktiv. Eine hohe Zahl von deutschen Unternehmen investieren seit Jahren in der Schweiz und unterhalten Tochtergesellschaften, sei es zur Produktion und zum Vertrieb, aber auch als Holding-Gesellschaften. Das zeigt auch das Jahr 2021. Die deutschen Direktinvestitionen verzeichneten per Saldo einen grossen Zuwachs und zwar in Höhe von 15,2 Mrd. EUR.

Auch Schweizer Unternehmen investieren in grosser Zahl in Deutschland. 2021 erfolgte per Saldo ein Zuwachs von 2,7 Mrd. EUR beim nördlichen Nachbarn. Immerhin steht die Schweizer Wirtschaft auf Platz 6 der wichtigsten Investoren in Deutschland, nach Frankreich und noch vor Österreich.

Das Motiv der meisten Investoren beider Länder ist die Absicherung und der Ausbau der Marktpositionen. Dabei handelt es sich nicht nur um Neugründungen von Tochtergesellschaften, sondern zu einem grossen Teil auch um Unternehmensbeteiligungen.

Dabei zeigt sich bei den deutschen Unternehmen eine etwas andere Tendenz des Investitionsziels als bei Schweizer Unternehmen. Deutsche Unternehmen setzen bei ihren Direktinvestitionen in der Schweiz hauptsächlich auf die intensivere Bearbeitung des Marktes und die Verminderung administrativer Hürden bei der grenzüberschreitenden Geschäftsabwicklung, die beim Zoll, der Mitarbeiterentsendung und in der Logistik entstehen, sowie auf Unternehmensbeteiligungen. Beim klassischen Holdingstandort Schweiz dürfte auch ein gewisser Teil auf Konzernund Finanztransaktionen entfallen.

In umgekehrter Richtung suchen Schweizer Unternehmen bei ihren Investitionen in Deutschland neben dem Ziel intensiverer Marktbearbeitung auch nach Produktionsstandorten mit Vorteil im EU-Binnenmarkt. Und auch der nun seit Jahren hohe Schweizer Frankenkurs hatte die Aufmerksamkeit auf den nahen Wirtschaftsstandort Deutschland gelenkt, zu dem bereits gute und enge Wirtschaftsverbindungen bestehen. Vor dem Hintergrund des hohen Bestands an Schweizer Tochterunternehmen in Deutschland ist es nicht verwunderlich, dass Verlagerungsmöglichkeiten auch innerhalb des eigenen Firmennetzes genutzt werden. Hinzu kommt die Überwindung logistischer Schwierigkeiten beim Warenexport, da die Schweiz nicht Mitglied der Europäischen Zollunion ist.

Die Bestandsstatistik der Deutschen Bundesbank wies für das Jahr 2019 (aktuellste Zahlen) einen deutschen Direktinvestitionsbestand in der Schweiz von 44,5 Mrd. EUR, 1’403 Unternehmen, mit einem Jahresumsatz von 132‘449 Mio. EUR und 134’000 Beschäftigten aus. Darüber hinaus gibt es viele Repräsentanzen, Zweigniederlassungen und deutsche Kleinunternehmen, die nicht der Meldepflicht unterliegen und daher von der Statistik nicht erfasst werden.

Das Schweizer Engagement in Deutschland bewegt sich in etwa gleicher Höhe. Die offizielle Statistik weist einen Direktinvestitionsbestand von 47,0 Mrd. EUR, 2‘012 Schweizer Unternehmen in Deutschland, mit einem Jahresumsatz von 172‘854 Mio. EUR und 451’000 Beschäftigten aus. Auch hier dürfte die Zahl inklusive der statistisch nicht erfassten Firmen deutlich höher sein. Schweizer Unternehmen beschäftigen damit über dreimal mehr Personen in Deutschland als deutsche Unternehmen in der Schweiz.

 

Techniker
Dienstleistungsverkehr wächst wieder

Dienstleistungen haben heute einen Anteil von mehr als einem Drittel des Handelsvolumens mit Gütern beim Wirtschaftsaustausch zwischen Deutschland und der Schweiz. Einerseits sind die Möglichkeiten und die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit in den unternehmensnahen Dienstleistungsbereichen und im Handwerk seit Inkrafttreten der bilateralen Verträge, d.h. seit langem, deutlich vereinfacht worden. Andererseits lässt der Trend zur «Servitization», der Veränderung weg von alleinigen Gütern hin zur Kombination von Gütern und Dienstleistungen, Dienstleistungen anwachsen.

Viele Produkte, insbesondere Investitionsgüter, sind nur mit ergänzenden Dienstleistungen gemäss ihrem Verwendungszweck einsatzfähig. Neue Technologien und neue Gebrauchsprozesse, wie z.B. die Sharing Economy und die Einbindung von Software- und digitalen IT-Entwicklungen in die Prozesse traditioneller Industriebranchen, wie z.B. in der Automobilindustrie, lassen Güter und Dienstleistungen verschmelzen. Aller Fortschrittsperspektiven zum Trotz, zeigen sich im grenzüberschreitenden Dienstleistungsaustausch auch häufig administrative Hürden, die ihren Ursprung im Spannungsfeld von freiem Wettbewerb und Sicherung des jeweiligen Lohn- und Sozialversicherungsniveaus haben.

Abgesehen von den administrativen Hürden bei der Entsendung von Mitarbeitenden in die Schweiz im Rahmen des 90 Tage-Kontingents, der 8 Tage Voranmeldefrist und der Kautionshinterlegung, bleibt die Unsicherheit bei der Abwicklung von Service-Leistungen, z.B. bei der Maschinen- und Anlagenwartung, für den Zeitraum nach Ablauf der 90 Tage-Frist, ein ungelöstes Marktzutrittshemmnis für die deutschen Exporteure.

Beziehungen Schweiz – EU: Derzeit nur Unsicherheit

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) werden u.a. durch die «Bilateralen Abkommen» geregelt, ein Vertragsnetz mit 120 einzelnen Abkommen. Um eine einheitlichere und effizientere Anwendung bestehender und zukünftiger Abkommen zu gewährleisten, hatten die Schweiz und die EU seit 2014 über ein institutionelles Abkommen (InstA) verhandelt. Im Mai 2021 hat die Schweiz der EU einseitig den Abbruch der Verhandlungen mitgeteilt. Die EU erklärte daraufhin, dass ohne das InstA keine neuen Abkommen mit der Schweiz abgeschlossen werden und bestehende Abkommen nicht mehr aktualisiert werden können, was, aus der zeitlichen Perspektive des Frühjahres 2022, zur Konsequenz hat, dass in Ermangelung einer Modernisierung der bestehenden Abkommen die Beziehungen mit der Zeit geschwächt werden.

Wie diese in Zukunft fortgesetzt werden können und ob dieses Szenario der Erosion der sektoriellen Abkommen tatsächlich so stringent in der Realität umgesetzt wird, ist ungewiss. Das Schadenspotential ist für beide Seiten erheblich und für die Wirtschaft Deutschland-Schweiz die denkbar schlechteste Option. Doch die im Zusammenhang mit dem gescheiterten Rahmenabkommen adressierten Herausforderungen und Anliegen für eine Fortentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind nach wie vor aktuell und verlangen weiterhin nach einer verlässlichen Lösung.

Die Erosion der bestehenden bilateralen Abkommen setzt in der Zwischenzeit bereits ein, wie die Hersteller von Medizinprodukten beidseits der Grenze aktuell leidvoll erfahren müssen. Da die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen im Mai 2021 seitens der EU nicht mehr erfolgte, müssen nun Schweizer wie EU-Medtech Hersteller beim gegenseitigen Export ihre Marktzulassung prüfen, einen bevollmächtigten Rechtsvertreter einsetzen und landesspezifische Etikettierungsvorschriften einhalten. Ein Schaden für die Unternehmen beidseits der Grenze.

In den nächsten Jahren veralten weitere Abkommen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Aktualisierung der EU Maschinenrichtlinie, welche in den nächsten 2 Jahren erwartet wird; oder die Äquivalenzanerkennung im Datenschutz und zudem noch viele mehr, welche z.T. seit Jahren blockiert sind. Und nicht zuletzt, die ungeklärte Assoziierung der Schweiz als Drittstaat beim EU-Forschungsrahmenprogramm, Horizon Europe, wirkt sich schon jetzt nachteilig auf die Innovationsund Forschungsstandorte beidseits der Grenze aus.

Angesichts dieses Schadenspotentials, welches sich vor allem erst in den kommenden Jahren richtig negativ auswirken würde, haben sich die Schweiz und die EU grundsätzlich dazu bekannt, den Beziehungen eine erfolgreiche Zukunft geben zu wollen. Die EU erwartet nach dem unilateralen Abbruch der Verhandlungen durch die Schweiz, dass sie potentielle Wege aufzeigt, wie die Beziehungen zu beiderseitigem Vorteil und Akzeptanz fortentwickelt werden können. Die Schweizer Regierung hat nach Abschluss einer Klausur-Sitzung Ende Februar 2022 mitgeteilt, dass sie grundsätzlich den bilateralen Weg fortsetzen und bei den Verhandlungen einen vertikalen Ansatz gehen will, mit dem Ziel, die institutionellen Elemente in den einzelnen Binnenmarktabkommen separat zu verankern. Auf dieser Grundlage sollen Sondierungsgespräche mit der EU aufgenommen werden. Ob dies auch für die EU eine Option darstellt, ist im Moment nicht bekannt.

Für die Handelskammer Deutschland-Schweiz ist die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen Schweiz-EU von besonders grosser Bedeutung, da mit Deutschland, als wichtigstem Wirtschaftspartner der Schweiz, ein sehr intensiver Austausch stattfindet und die Verflechtung der Wirtschaft besonders eng ist. Heute spielen Wertschöpfungsketten von Gütern und Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr eine immer grössere Rolle und vertiefen die Verflechtung der Wirtschaft im internationalen Austausch. Diese wäre ohne den freien Austausch von Produkten, den Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, den freien Personenverkehr sowie die gegenseitige Anerkennung von Prüfzertifikaten und Berufsqualifikationen nicht möglich gewesen.

Der zukünftige Erhalt und der Ausbau des gegenseitigen Marktzugangs sowie verlässliche Spielregeln sind zentral. Dabei gilt es, nicht wieder neue bürokratische Belastungen für die Aussenwirtschaft entstehen zu lassen, sondern im Gegenteil, die bestehenden weiter abzubauen.

Vor diesem Hintergrund appelliert die Handelskammer Deutschland- Schweiz an beide Seiten, Schweiz und EU, dass der aktuelle Rückschritt in den Beziehungen nicht dazu führen darf, dass die über Jahre mühsam erreichten Liberalisierungsschritte beim Marktzugang wieder rückgängig gemacht werden und neue Abkommen auf Jahre blockiert sind. Vielmehr gilt es, den gegenseitigen Dialog jetzt verstärkt aufzunehmen und für die Fortentwicklung zukünftiger gemeinsamer Beziehungen Schweiz–EU offen zu bleiben.

Ukraine/Russland/Sanktionen

Bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine zeigten sich zu Beginn des Jahres 2022 Belastungen der Wirtschaft in Deutschland und der Schweiz durch Schwierigkeiten in der Lieferkette, bei der Logistik und vor allem durch steigende Rohstoff- und Energiepreise. Die erschütternden Kriegsereignisse und die unbeschreibliche humanitäre Katastrophe zeigen jedoch auch direkte und indirekte Auswirkungen auf die Unternehmen und die Wirtschaft in unseren Ländern. Nach aktuellen Umfragen von Dachverbänden in Deutschland und der Schweiz melden inzwischen rund 80 % der Betriebe fehlende Rohstoffe und Vorleistungsprodukte. Der Inflationsdruck hält entsprechend unvermindert an. Direkt vom Krieg, Sanktionen und Gegensanktionen betroffene Firmen leiden zudem unter dem Wegfall von Geschäftspartnern sowie Zahlungsausfällen. Gemäss der Umfragen sind mehr oder weniger alle Branchen davon betroffen. Angesichts der vielen Menschen, die sich derzeit militärischer Gewalt ausgesetzt sehen oder auf der Flucht sind, wird die Sanktionspolitik breit getragen. Viele Unternehmen, Verbände und Handelskammern engagieren sich im Rahmen der vielen Hilfsaktionen.




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