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11. Feb 2015, Recht & Steuern | Auftraggeberhaftung

Rechtsfragen zum neuen Mindestlohngesetz in Deutschland

«Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns» ist nicht nur aus arbeitsrechtlicher Hinsicht von Bedeutung – Risiko der Auftraggeberhaftung besteht auch für ausländische Unternehmen.

Bekanntlich gilt seit dem 01.01.2015 das «Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns», kurz MiLoG. Dieses billigt in Deutschland tätigen Arbeitnehmern gegenüber ihren Arbeitgebern einen flächendeckenden, branchenunabhängigen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von EUR 8,50 brutto je Zeitstunde zu.

Entscheidend ist hier das sogenannte Arbeitsortsprinzip, das heisst auch Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die in Deutschland – wenn auch nur vorübergehend – einen Arbeitnehmer im Wege eines Dienst- oder Werkvertrages beschäftigen, unterfallen generell den Regelungen des Gesetzes und müssen ihre Arbeitnehmer entsprechend den Vorgaben des MiLoG entlohnen. In diesem Zusammenhang sind zwar derzeit viele Rechtsfragen ungeklärt. Insbesondere ist noch nicht entschieden, wie mit dem reinen Transitverkehr umzugehen ist – hier spricht aktuell vieles dafür, dass dieser mangels echter Berührungspunkte zur deutschen Wirtschaft nicht erfasst ist bzw. der deutsche Gesetzgeber hier noch «nachbessert».

Hinzu kommt die – im Folgenden dargestellte – sogenannte Auftraggeberhaftung, die unmittelbar mit dem MiLoG zusammenhängt. Diese Haftung kann auch ausländische Unternehmen treffen, die nicht einmal Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen. Ausreichend ist es, wenn man bestimmte Leistungen von Unternehmen (zum Beispiel als Subunternehmen) erbringen lässt, die Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen.

Auftraggeberhaftung von besonderer Bedeutung

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die sogenannte Auftraggeberhaftung. Diese besagt, dass nicht nur Arbeitgeber, die den Mindestlohn für in Deutschland erbrachte Arbeit nicht oder nicht vollständig oder rechtzeitig zahlen, mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen haben. Auch Unternehmen, die lediglich als Auftraggeber fungieren und die Leistungen Dritter direkt oder auch nur indirekt beanspruchen, sind einem Haftungsrisiko ausgesetzt. 



Gemäss der Auftraggeberhaftung haftet derjenige Unternehmer, der einen anderen Unternehmer (Auftragnehmer) mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, verschuldensunabhängig dafür, dass der Auftragnehmer oder von diesem eingeschaltete weitere Nachunternehmer den gesetzlichen Mindestlohn an ihre eingesetzten Arbeitnehmer (rechtzeitig) entrichten. Hierbei handelt es sich um eine zivilrechtliche – und nicht abdingbare – Haftung. Darüber hinaus besteht zusätzlich das Risiko einer – allerdings verschuldensabhängigen – bußgeldrechtlichen Haftung: ein Auftraggeber, der «weiss oder fahrlässig nicht weiss», dass sein Auftragnehmer oder von diesem eingeschaltete weitere Nachunternehmer den Mindestlohn nicht (rechtzeitig) entrichten, kann mit einem Bussgeld von bis zu EUR 500.000,00 bestraft werden.

Diese Haftung kann somit zu weitreichenden Konsequenzen für einen Auftraggeber führen.

Zahlreiche Rechtsfragen zur Auftraggeberhaftung ungeklärt

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass derzeit noch zahlreiche Rechtsfragen zur Auftraggeberhaftung ungeklärt sind. Rechtsprechung hierzu gibt es naturgemäss noch nicht, sodass erst die Zeit zeigen wird, wie mit einzelnen Fragestellungen umzugehen sein wird.

Besonders umstritten ist aktuell, in welchen Konstellationen eine Auftraggeberhaftung überhaupt denkbar ist. Vieles spricht dafür, dass sie auf solche Fälle beschränkt ist, in denen sich der Auftraggeber zur Erfüllung eigener Verpflichtungen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit eines Auftragnehmers im Wege eines Werk- oder Dienstvertrages bedient. Insbesondere Verträge zur reinen «Eigenversorgung» (z.B. Betreibung einer Kantine für die eigenen Mitarbeiter, Einschaltung einer Reinigungsfirma für die Reinigung der eigenen Räumlichkeiten etc.) werden davon nicht erfasst sein. Da der Wortlaut des Gesetzes insoweit jedoch keine Einschränkungen aufweist, ist eine abschliessend rechtssichere Einschätzung hierzu noch nicht möglich.

Ebenfalls noch nicht abschliessend geklärt ist, wie weit der Begriff der im Gesetz genannten «Werk- und Dienstleistungen» zu verstehen ist. Nach derzeit überwiegender Auffassung sind neben den explizit im Gesetz genannten Dienst- und Werkverträgen auch Werklieferungsverträge, Geschäftsbesorgungsverträge und Aufträge erfasst. Als grobe Richtschnur gilt: Ein Risiko besteht grundsätzlich bei allen Verträgen, bei denen die Leistung des Auftragnehmers über den reinen Verkauf einer bereits «fertigen» Sache hinausgeht.

Schliesslich ist derzeit noch ungeklärt, ob und in welchem Umfang die Auftraggeberhaftung bei Insolvenz eines als Arbeitgeber tätigen Auftragnehmers oder Nachunternehmers besteht.

Empfehlungen aus rechtlicher Sicht

Bis die verbleibenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung verbindlich geklärt sind, wird es sicherlich noch mehrere Monate oder sogar Jahre dauern. In der Zwischenzeit sollte der Themenkomplex «Auftraggeberhaftung» immer im Auge behalten werden.

Wie oben ausgeführt, kann eine zivilrechtliche Haftung im Ergebnis nicht abbedungen werden. Es können aber Vorkehrungen organisatorischer und vertraglicher Art getroffen werden, um die Haftungssituation – sowohl in zivilrechtlicher als auch in bussgeldrechtlicher Hinsicht – zu verbessern. Aus zivilrechtlicher Sicht empfiehlt es sich, bei bestehenden sowie zukünftig abzuschliessenden Verträgen Klauseln aufzunehmen, welche den jeweiligen Auftraggeber besser absichern. Daneben sollten vor dem Hintergrund des bestehenden Bussgeldrisikos geeignete organisatorische Massnahmen getroffen werden, um den Vorwurf einer «fahrlässigen Unkenntnis» im Hinblick auf MiLoG-Verstösse bereits im Keim zu ersticken. 



Welche Massnahmen getroffen werden können und sollten, hängt immer auch vom jeweiligen Einzelfall ab. Generell und vorbereitend sollte sich ein als Auftraggeber tätiges Unternehmen immer die folgenden Fragen stellen:

  • Zukünftige Verträge: Beim Abschluss zukünftiger Dienst- und Werkverträge, Werklieferungsverträge und Aufträge sollte sorgfältig intern abgewogen werden, ob der Abschluss des Vertrages der reinen Eigenversorgung des Unternehmens dient oder ob der Vertragszweck darüber hinaus geht. Sobald der Vertragszweck auch der Erfüllung eigener Verpflichtungen Dritten gegenüber dient, sollten weitere Überlegungen angestellt werden (z.B. wie «seriös» erscheint der Auftragnehmer? Ist davon auszugehen, dass der Auftragnehmer seinen Arbeitnehmern Mindestlohn bezahlt? Ist nach dem Vertragstext die Einschaltung von weiteren Subunternehmern durch den Auftragnehmer möglich? Besteht hier ein Risiko, dass der Mindestlohn nicht bezahlt wird?) Sobald hier ein gewisses – und wenn auch nur geringes – Risiko erkannt werden sollte, sollten unbedingt weitere Vorkehrungen getroffen und insbesondere entsprechende vertragliche Regelungen zugunsten des eigenen Unternehmens in den abzuschliessenden Vertrag mit aufgenommen werden (z.B. Bestätigungen des Auftragnehmers, Freistellungserklärungen, Verbot der Einschaltung von Subunternehmern, vertragliche Sanktionen etc.).
  • Laufende Verträge: Im Hinblick auf die derzeit laufenden Verträge empfehlen wir betroffenen Unternehmern, eine Übersicht zu erstellen, in der sämtliche Dienst- und Werkverträge, Werklieferungsverträge und Aufträge aufgelistet sind. Im Anschluss daran sollte sich das Unternehmen auch insoweit die oben genannten Fragen stellen und eine Risikoeinschätzung vornehmen. Kann ein Risiko nicht sicher ausgeschlossen werden, sollten auch im Rahmen der laufenden Vertragsbeziehungen weitere Vorkehrungen getroffen werden (z.B. Einfordern einer Bestätigung des jeweiligen Auftragnehmers, wonach dieser die MiLoG-Vorgaben einhält – ggf. verbunden mit einer Freistellungserklärung).

Dr. Tobias Bomsdorf ist Partner der überregionalen Sozietät CMS Hasche Sigle in Frankfurt und vertritt eine Vielzahl von Schweizer KMU im Zusammenhang mit Ihren geschäftlichen Aktivitäten in Deutschland.

(Bildquelle: © Neustockimages/iStockphoto)




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