Handelskammerjournal – Rechtliche Grenzen der Verständigungsvereinbarung
1. Sep 2015, Recht & Steuern | Doppelbesteuerung

Rechtliche Grenzen der Verständigungsvereinbarung

Verständigungs- und Konsultationsvereinbarungen sind fester Bestandteil von Doppelbesteuerungsabkommen – so auch in Art. 26 des Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz. Doch auch diese haben ihre rechtlichen Grenzen.

Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) werden eingesetzt, um Schwierigkeiten oder Zweifel – die bei der Auslegung oder Anwendung entstehen – möglichst in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Hierdurch soll auch eine Mehrfachbesteuerung vermieden werden.

Grenzen für Konsultationsvereinbarungen

Der Bundesfinanzhof (BFH) – das höchste deutsche Finanzgericht – definierte in letzter Zeit mehrfach, welche Grenzen für Konsultationsvereinbarungen bestehen. Der BFH kam zum Ergebnis (BFH v. 2.9.2009, I R 90/08, BStBl. II 2010, S. 394 sowie BFH v. 2.9.2009, I R 110/08, BStBl. II 2010, S. 387), dass Konsultationsvereinbarungen nur Anwendung finden können, soweit sich diese innerhalb des durch die DBA gesetzten Rahmens bewegen.

Der Abkommenswortlaut bildet die «Grenzmarke» für das Abkommensverständnis. Dabei sind bei der Auslegung des DBA die Grundsätze von Treu und Glauben zu berücksichtigen. Auch das Schweizer Bundesverwaltungsgericht kam – unabhängig vom BFH – fast zeitgleich zum selben Ergebnis (BVGer v. 22.1.2010, A-7789-2009).

Reaktionen auf BFH-Rechtsprechung

Auf die genannte BFH-Rechtsprechung reagierte der deutsche Gesetzgeber umgehend. Mit § 2 Abs. 2 Abgabenordnung (hiernach AO) schuf er einen gesetzgeberischen Rahmen für die Transformation von Konsultations- und Verständigungsvereinbarungen in geltendes Recht. Auf Basis von § 2 Abs. 2 AO wurden die wesentlichen Verhandlungsergebnisse der bisherigen Konsultations- und Verständigungsvereinbarungen zwischen Deutschland und der Schweiz in der sogenannten Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung (KonsVerCHEV) umgesetzt – in Gestalt einer Rechtsverordnung in geltendes, deutsches Gesetz.

Wirkung für alle Veranlagungszeiträume anwendbar. Mit der Umsetzung der Verständigungs- und Konsultationsvereinbarungen im Rahmen einer Rechtsverordnung, soll diesen der Rang eines einfachen Gesetzes zugewiesen und die rechtlichen Einwände geheilt werden.

Weiterhin (verfassungs)rechtliche Bedenken

Hinsichtlich der neuen Konsultationsvereinbarungsverordnung stellt sich auch weiterhin die Frage, ob diese – im Lichte der BFH-Rechtsprechung – per se rechtswirksam ist. Bei Rechtsverordnungen – hierzu zählen Konsultationsvereinbarungsverordnungen – ist dies nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz nur dann der Fall, wenn ihnen jeweils eine formell-gesetzliche (das heisst parlamentarische) Ermächtigung zu Grunde liegt, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Diesen Anforderungen jedoch entspricht nicht die im Jahre 2010 neu geschaffene Ermächtigungsgrundlage der Konsultationsvereinbarungsverordnung (§ 2 Abs. 2 AO).

1. Bedenken nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz

Gemäss Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz müssen Inhalt, Zweck und Ausmass der erteilten Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen im Gesetz zwingend hinreichend bestimmt werden (Bestimmtheitsgebot). Der formelle Gesetzgeber muss bei einer Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Verwaltung nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz immer noch das grundsätzliche «Programm» bestimmen, innerhalb dessen sich die Rechtsverordnung halten muss. Nur so ist eine ausreichende demokratische Legitimation von Rechtsverordnungen und ihrer Inhalte sichergestellt.

2. Bedenken nach § 2 Abs. 2 AO

§ 2 Abs. 2 AO entspricht diesen Voraussetzungen gerade nicht, da die Verordnungsermächtigung viel zu unbestimmt ausgestaltet worden ist. Dieser gibt zwar den Zweck der auf seiner Grundlage zu erlassenen Rechtsverordnungen an, bleibt jedoch – aufgrund der beabsichtigten Verwendung als «Transformationsnorm» – für sämtliche Konsultationsvereinbarungen zu sämtlichen DBA derart unbestimmt, dass die Verwaltung quasi eine «Blankonorm» erhält. Diese ermöglicht es dem formellen Gesetzgeber kaum, den Inhalt und die Reichweite der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen abzuschätzen – beziehungsweise vorzugeben.

3. Die Folge

Selbst dann, wenn § 2 Abs. 2 AO nicht per se verfassungswidrig wäre, kann sich – in Bezug auf vom DBA-Wortlaut abweichende Fälle – nichts an der Unbeachtlichkeit der Konsultationsvereinbarungsverordnung ändern. Um dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz überhaupt genügen zu können, müsste die Verordnungsermächtigung verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sich die erlassenen Rechtsverordnungen innerhalb der Regelungsziele und Grenzen der jeweils betroffenen DBA halten.

Das abkommensrechtliche Regelungsprogramm bildet daher wiederum die äussere Grenzlinie für die Rechtsetzungsbefugnisse der Verwaltung. Dieser ist es verwehrt, den Inhalt des betroffenen DBA zu ändern oder neue, bislang nicht existierende Anforderungen oder Tatbestandsmerkmale zu schaffen.

(Bildquelle: © olaser/iStockphoto)




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