Corona Arbeitsplatz
25. Feb 2021, Wirtschaft | Management

Wenn Corona den Geist am Arbeitsplatz infiziert: Wie können wir unsere Resilienz in Krisenzeiten erfassen und fördern?

In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, was Arbeitnehmerinnen und -nehmer, Personen, die unfreiwillig ohne Arbeit sind und Arbeitgeber tun können, um ihre aktuelle Belastung zu erfassen und ihre Widerstandskraft zu stärken.

Das Virus Sars-Cov-2 selbst und seine Bekämpfung belasten die Menschen weltweit. Veränderungen im privaten und beruflichen Bereich, Homeoffice und Einschränkungen des öffentlichen Lebens verlangen eine hohe Anpassungsfähigkeit. Mit Resilienz, der psychischen Stress-Widerstandskraft, ist es möglich, stabiler durch die Corona-Krise zu manövrieren.

Das Virus befällt auch die Psyche

Die Corona-Krise verlangt den meisten Menschen derzeit enorme psychische Anpassungsleistungen ab. So müssen das Berufs- wie auch das Privatleben umorganisiert, vertraute Strukturen und Abläufe neu gelernt werden. Hinzu können lähmende Gefühle von Kontrollverlust, Angst und Unsicherheit kommen, sei es aus Sorge um die Gesundheit oder um die finanzielle Existenz. Inmitten der zweiten Welle fragt man sich, wie lange das alles noch andauern wird, ob die Schutzmassnahmen umfassend wirksam sind, wie die langfristigen Folgen aussehen werden, wann und ob ein Impfstoff das Virus in Schach halten kann und mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Die Pandemie bringt viele Menschen, bei denen zuvor alles mehr oder weniger rund lief, aus der Spur. Was kann im persönlichen Umgang mit der Corona-Krise helfen? Was können Führungskräfte für besonders betroffene Mitarbeitende und Teams tun?

Menschen mit höherem Kohärenzsinn sind stressresistenter

Der Soziologe Aaron Antonovsky prägte im Zusammenhang mit seinem Konzept der Salutogenese, also der Frage, was uns körperlich und seelisch gesund erhält, den Begriff des Kohärenzsinns. Der Kohärenzsinn ist die Empfindungsfähigkeit einer Person für die stimmige Verbundenheit mit sich selbst bzw. dem sozialen Gefüge. Er definiert das Gefühl der Zufriedenheit und Zugehörigkeit, festigt sich in der Regel bis zum jungen Erwachsenenalter und bleibt lebenslang entwickelbar. Die Grundhaltung des Kohärenzgefühls ist ein tiefes Gefühl des Vertrauens und beinhaltet drei Aspekte:

  1. Verstehbarkeit (Ereignisse im Leben werden als verstehbar eingeschätzt)
  2. Handhabbarkeit (Aufgaben und Anforderungen lassen sich bewältigen)
  3. Sinnhaftigkeit (Aufgaben und Anforderungen im Leben werden als sinnvoll bewertet)
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass ein ausgeprägter Kohärenzsinn mit besserer körperlicher und mentaler Verfassung korreliert – auch im beruflichen Kontext. An der eigentlichen Pandemie können wir, ausser mit verantwortungsbewusstem Handeln, kaum etwas ändern. Wir müssen akzeptieren, dass die Virus-Pandemie uns heute und vermutlich noch über Monate oder Jahre betreffen wird.
 
Aber es kann im Sinne des Kohärenzsinns hilfreich sein, die Bedeutung der Corona-Krise im eigenen Leben und Arbeiten besser zu verstehen und zu identifizieren, wo sich Handlungsspielräume befinden. Eine klarere, differenziertere Sicht auf die individuelle Belastung kann gegen den Nebel im Kopf und das diffuse Gefühl der Überforderung helfen.
Entlastung durch Visualisierung der Belastung und Handlungsaktivierung

Die von Prof. Dr. med. Tom Sensky (Imperial College London) und Prof. Dr. med. Stefan Büchi entwickelte PRISM-Methode ermöglicht es, den krisenbedingt aktuell relevantesten Belastungsfaktor zu identifizieren und in Beziehung zum Individuum (Ich) zu setzen. Die Visualisierung und Evaluierung des grössten Problems schafft schon allein durch dessen Benennung und Lokalisierung (Platzierung auf der Platte) eine erste Entlastung.

Im zweiten Schritt kann darüber nachgedacht werden, wie der individuelle Leidensdruck gemildert werden kann, z.B. durch die Identifikation von Faktoren, die die Resilienz und das seelische Gleichgewicht stärken. Die Beschäftigung mit dem PRISM-Instrument beschleunigt Erkenntnisprozesse, die zu Klärung, Lösungsfindung und Handlungsaktivierung führen.

Handlungsaktivierung versus Lähmung

Die PRISM-Methode wird im klinischen und therapeutischen Kontext wie auch in der berufsbezogenen Beratung seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt.

In Krisenzeiten mit ungewissem Ausgang kann die Visualisierung mit PRISM eine vertiefte Problemanalyse fördern und damit die Verstehbarkeit der Situation als ein Element des Resilienzfördernden Kohärenzsinns unterstützen.

Zudem werden die Erinnerung an stärkende Aspekte (Ressourcen) sowie die Kreativität angeregt. Ziel ist es, lähmende Passivität in Handlungsaktivierung umzuwandeln. Dies alles stärkt die Handhabbarkeit entsprechend eines kompetenten Umgangs mit der Belastung als weiteres Element des Kohärenzsinns.

PRISM kann drängende Probleme nicht aus der Welt schaffen, hilft aber dabei, die Probleme im aktuellen Kontext einzuordnen, deren Präsenz zu akzeptieren und einen (möglichst) gelassenen Umgang damit zu finden.

Aktive Führungsarbeit und Beziehungsqualität zur Förderung der Resilienz bei Mitarbeitenden ist in Krisenzeiten wichtiger denn je

Vielerorts sind wohlmeinende Ratschläge im Umgang mit der Covid-Krise nachzulesen. Angesichts der Tatsache, dass gute Beziehungen am Arbeitsplatz als entscheidender Resilienz-Faktor gelten resp. schlechte Beziehungen den Stress verstärken, sollte im Zentrum der Bemühungen die Pflege der Beziehungsqualität stehen. Auch im Zeichen der Pandemie mit ungewissem Verlauf sind zwischenmenschliche Beziehungen dasjenige Feld, das sich noch immer relativ frei gestalten lässt. Leider spielt sich vielerorts Teamarbeit nur noch virtuell und nicht mehr an einem physischen Ort ab. Virtuelle Teamarbeit ist, trotz rasanter Entwicklung von Videokonferenz-Programmen, schwieriger als gedacht.

Daher lautet die erste Empfehlung: Wenn immer möglich und vertretbar, ist der Teamarbeit vor Ort der Vorzug zu geben. Denn wenn wir nicht regelmässig, möglichst täglich und von Angesicht zu Angesicht miteinander zu tun haben, steigt die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen, Informationsvakuums, Vermutungen und falschen Annahmen. Um diese zu klären und ausgewogene Entscheidungen zu treffen, braucht es zur Austarierung und Konsensfindung persönliche Kommunikation.

Virtuelle Teams müssen lernen, wie man disziplinierte Telefon- und Videokonferenzen führt. Damit einher geht die Vereinbarung, dass während der Besprechungen keine E-Mails abgerufen und keine Nebengespräche mit Kollegen geführt werden. Stattdessen müssen sie präsent, aufmerksam und bereit sein, sich auf Dissens und schwierige Diskussionen einzulassen, auch wenn es verlockend ist, ein Thema fallen zu lassen, nur damit die Sitzung früher beendet werden kann. Und wenn jemand beobachtet, dass ein Teammitglied sich nicht an all dies hält, braucht es Rückgrat, dies klar zu benennen.

Weitere praxiserprobte Strategien zur Förderung der Resilienz am Arbeitsplatz – ob vor Ort oder virtuell:

  • Engmaschige Kommunikation von Teams untereinander fördern
  • Kommunikation zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern stärken und hierfür genügend Zeit einplanen
  • Herausfinden, wer welche Unterstützung benötigt und Unterstützungsbe- dürftigkeit normalisieren und entstigmatisieren
  • Sorgfältige Klärung von Zielen und Aufgaben, gerade für Mitarbeiter im Home- office, damit nicht aneinander vorbei gearbeitet wird
  • Für Entlastung sorgen, indem weniger relevante Projekte grosszügig verschoben werden
  • Sicherheit vermitteln, Ängste ernst nehmen und nicht bagatellisieren
  • Regelmässige Zwischenstopps: Was klappt gut? Was können wir künftig besser machen? Was kann in der Zukunft noch auf uns zukommen und wie können wir uns darauf vorbereiten und einstellen?
  • Zu den eigenen Emotionen stehen und darüber sprechen
  • Gemeinsame Werte vermitteln, um die Perspektive zu wahren und sich um Wesentliches kümmern zu können
  • Versuchen, gelassen zu bleiben. Es ist niemandem geholfen, sich Sorgen um die Zukunft zu machen, ohne zu wissen, was die Zukunft bringen wird.
  • Die Krise als Erfahrungs- und Lernchance nutzen, Fähigkeiten und Stärken (neu) entdecken und Neues lernen.
  • Hoffnungsvolle Gedanken kultivieren: Es wird sich aus den herausfordernden Zeiten auch etwas Gutes entwickeln.
Anwendung: So können Sie Ihre Corona-bedingte momentane Belastung erfassen

Nachfolgend wird eine Anleitung zur Arbeit mit der PRISM-Methode gegeben, die entweder allein oder im Gespräch, beispielsweise mit der Vorgesetzten oder dem Arbeitskollegen durchgeführt werden kann.
Benötigtes Material:

  • PRISM-Instrument(1Das PRISM-Instrument ist bestellbar unter www.prismium.ch)
  • Alternativ: Paper-Pencil-Methode, indem die Zusammenhänge von Hand aufgezeichnet werden
prisma
Prism Anleitung
Prism Anleitung Schritt 1
Prism Anleitung Schritt 2

Literatur:
  • Büchi S., Claus S. (2019) Wie kann Resilienz im Arbeitskontext erfasst und gefördert werden? CH-D Wirtschaft, Handelskammer Deutschland Schweiz
  • Heller J. Hrsg. (2019) Resilienz für die VUCA-Welt. Individuelle und organisationale Resilienz entwicklen
  • Sensky T., Büchi S. (2016) PRISM, a novel visual metaphor measuring personally salient appraisals, atittudes and decision making: Qualitative evidence synthesis. PloS One.23;11



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