Vorsicht Stolperfalle
13. Feb 2023, Recht & Steuern

Vorsicht Stolperfalle: Sozialversicherungsrechtlich relevante selbständige Erwerbstätigkeit aus Sicht der Schweiz

Die schweizerische Sozialversicherungsgesetzgebung sieht nicht nur bei der Ausübung einer unselbständigen (abhängigen) Erwerbstätigkeit, sondern auch bei einer selbständigen (freiberuflichen) Tätigkeit sowie bei der Wahrnehmung von gewissen Organfunktionen und auch bei sog. Nichterwerbstätigkeit die Erhebung von Sozialversicherungs- und teilweise auch Vorsorgebeiträgen vor.

Die Sozialversicherungsbeiträge sind – vorbehältlich der Beiträge von Nichterwerbstätigen – in der Schweiz gegen oben unbegrenzt, was insgesamt und gerade in grenzüberschreitenden Situationen zu kostspieligen Überraschungen führen kann. Sodann ist die grenzüberschreitende sozialversicherungsrechtliche Koordination auch nicht immer deckungsgleich mit der steuerlichen Behandlung zugrundeliegender Einkünfte. Der vorliegende Beitrag soll die schweizerische sozialversicherungsrechtliche Systematik aufzeigen, auf wesentliche Stolperfallen aus der Praxis hinweisen und Lösungsansätze ansprechen, sodass im Rahmen der Planung von Erwerbstätigkeiten mit Bezug zur Schweiz eine geeignete Strukturierung vorgenommen werden kann.

 

1. Sozialversicherungsrechtlich relevante Erwerbstätigkeit – in der Schweiz ein weit ausgelegter Anknüpfungspunkt

Unter Erwerbstätigkeit ist die Ausübung einer auf die Erzielung von Einkommen gerichteten Tätigkeit zu verstehen, mit welcher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht werden soll. Wesentliches Merkmal einer Erwerbstätigkeit ist eine planmässige Verwirklichung der Erwerbsabsicht in der Form von Arbeitsleistung.

Praxisgemäss wird in der Schweiz zwischen drei Arten von Tätigkeiten (sog. Status) differenziert: Unselbständige Erwerbstätigkeit, selbständige Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit1 . Die Unterscheidung zwischen unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit kann in der Praxis Probleme bereiten, da die Unterscheidung nicht allein aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses (etwa eines Arbeitsoder Auftragsvertrages) vorgenommen werden kann.2 Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten: Als unselbständig erwerbstätig ist im allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.3 Auch bei einer eigenen Gesellschaft operativ tätige Anteilsinhaber stehen dieser aus schweizerischer sozialversicherungsrechtlicher Perspektive neben ihrem Aktionärsverhältnis und ggf. Verwaltungsratsmandat in einem Arbeitsverhältnis (d.h. als sog. unselbständig Erwerbende) gegenüber. Die selbständige Erwerbstätigkeit steht der unselbständigen Erwerbstätigkeit aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht subsidiär hinten an.

Unbenannt

2. Zuständigkeit und Fallgruppen

Ob in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht eine Erwerbstätigkeit vorliegt oder nicht, wird grundsätzlich von den zuständigen Ausgleichskassen (kantonale Ausgleichskassen oder Verbandsausgleichskassen), welche die zentralen Dreh- und Angelpunkte der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht sind, vorgenommen. Die schweizerischen Ausgleichskassen sind dezentral organisiert und unterstehen der Aufsicht des Bundesamtes für Sozialversicherungen; dennoch verfolgen die Ausgleichskassen in Einzelfragen erfahrungsgemäss häufig eigene Praxen, sodass sich bei komplexeren Fragestellungen eine individuelle Ansprache empfiehlt. Wenn etwa eine selbständige Erwerbstätigkeit von den Steuer- oder Ausländerbehörden bejaht worden ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass auch sozialversicherungsrechtlich eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt. Die zuständigen Ausgleichskassen beurteilen in der Regel im Einzelfall ob eine sozialversicherungsrechtlich unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit oder Nichterwerbstätigkeit vorliegt. In der Praxis haben sich vor diesem Hintergrund diverse Fallgruppen gebildet, welche den Beurteilungsspielraum der zuständigen Ausgleichskassen beeinflussen.6

Die Beurteilung kann gerade in grenzüberschreitenden Fällen, bei denen es zusätzlich zur binnenrechtlichen Qualifikation in aller Regel noch zur Koordination der sozialversicherungsrechtlichen Unterstellung in der Schweiz oder Deutschland (oder dem Drittausland) kommt, zu überraschenden Resultaten führen, insbesondere weil vielfach in Deutschland in analogen und ähnlichen Konstellationen keine sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht oder eine Beitragserhebung zu wesentlich tieferen Ansätzen bestünde und weil in der Alltagspraxis immer noch öfters den steuerlichen Aspekten einer Strukturierung in der Planung Priorität eingeräumt wird.

 

3. Stolpersteine und Lösungsansätze


3.1 Digital Economy
In der Praxis kommen auch in neuerer Zeit immer wieder Anwendungsfälle vor, bei welchen die sozialversicherungsrechtliche Qualifizierung der Erwerbstätigkeit umstritten ist. Die Digital Economy wirft die grundsätzliche Fragen auf, wie Plattformen wie «Uber» oder «Uber Eats» aus schweizerischer Sicht sozialversicherungsrechtlich einzustufen sind:

– Im Urteil des Bundesgerichts 9C_692/2020 vom 29. März 2021 ging das höchste schweizerische Gericht davon aus, dass die Uber Switzerland GmbH nicht beitragspflichtig ist und die von der SVA Zürich, Ausgleichskasse, geforderten Beiträge sowie Verzugszinsen nicht geschuldet sind.7

– In den Urteilen 2C_575/2020 vom 30. Mai 2022 und 2C_34/2021 vom 30. Mai 2022 ist das Bundesgericht zum Ergebnis gelangt, dass Fahrerinnen und Fahrer des Fahrdienstes «Uber» und «Uber Eats» als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu qualifizieren sind. Aufgrund dieser Qualifizierung ist damit zu rechnen, dass für die Fahrerinnen und Fahrer von «Uber» und «Uber Eats» künftig Sozialversicherungsbeiträge aus unselbständiger Erwerbstätigkeit samt Verzugszinsen verlangt werden können.

Weil im schweizerischen Recht betreffend Plattformarbeit (im Bereich der Digital Economy) aktuell noch sehr viele offene sozialversicherungsrechtliche Unsicherheiten bestehen, erscheint die Lancierung einer entsprechenden Unternehmung, Betriebs oder Geschäfts in der Schweiz mit vielen Risiken verbunden. Im Rahmen einer eingehenden steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Beratung können allfällige Problematiken und Risiken der Plattformarbeit frühzeitig erkannt und mittels geeigneter Massnahmen, wie der Einholung von Steuerrulings oder rechtlich verbindlichen Auskünften bei den Ausgleichskassen, behoben werden.

3.2 Ausländische Personengesellschaften
Strukturierungen mit ausländischen Personengesellschaften wie beispielsweise der deutschen GmbH & Co KG sind regelmässig im Einzelfall aus Sicht der Schweiz dahingehend zu prüfen, ob eine sozialversicherungsrechtliche Unterstellung und eine selbständige Erwerbstätigkeit aus Sicht der Schweiz gegeben ist. In solchen Fällen hat nach Erfahrung der Autoren grundsätzlich eine vorgängige Konsultation mit den zuständigen Ausgleichskassen in Erwägung gezogen zu werden.8 Daneben empfiehlt sich eine einzelfallbezogene steuerliche Analyse, bei Bedarf die Einholung eines Steuerrulings und die entsprechende Abbildung in den betroffenen Steuererklärungen.

3.3 Stille Gesellschaften
Gegenüber Dritten nicht in Erscheinung tretende stille Teilhaberinnen und Teilhaber sind praxisgemäss als Selbständigerwerbende sozialversicherungsrechtlich beitragspflichtig, sofern sie im internen Gesellschaftsverhältnis den nach aussen hin auftretenden Partnerinnen und Partnern tatsächlich gleichgestellt sind.9 Im Einzelfall kann fraglich sein, wann die internen Gesellschafterinnen und Gesellschafter den nach aussen hin auftretenden Partnerinnen und Partnern gleichgestellt sind, weshalb vor der stillen Teilhaberschaft in der Schweiz optimalerweise die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Stellung geklärt wird.

 

4. Fazit

Die Einstufung verschiedener Vorgänge und Strukturierungen in der Praxis als sozialversicherungsrechtliche Erwerbstätigkeit ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage, die grundsätzlich aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Bei Ansässigkeit in der Schweiz und / oder wenn in der Schweiz eine Unternehmung, ein Betrieb oder ein Geschäft geführt wird respektive geführt werden soll, hat rechtzeitig und in Verbindung mit den steuerlich relevanten Aspekten die sozialversicherungsrechtliche Einstufung geklärt zu werden. Dies bietet sich insbesondere im Bereich der Digital Economy sowie bei grenzüberschreitenden Fällen an. Im Unterlassungsfall können spürbare finanzielle Nachteile (Nachforderungen von Beiträgen durch die zuständigen Ausgleichskassen samt verschuldensunabhängigen Verzugszinsen) die Folge sein. Im Zweifelfall sollte die betroffene Unternehmung oder Person rechtskundige Hilfe in Anspruch nehmen, um die notwendige steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Compliance sicherzustellen.

1 Auf die Nichterwerbstätigkeit wird im Folgenden nicht mehr vertieft eingegangen.
2 BGE 123 V 161 E. 1.
3 BGE 123 V 161 E. 1.
4 Auf die Aspekte der Haftung des Arbeitgebers für die gesamten Beiträge und die hälftige Weiterbelastung an den Arbeitnehmer soll im Folgenden nicht eingegangen werden.
5 Vgl. zur aktuellen Übersicht www.bsv.admin.ch.
6 Vgl. zum Ganzen Wegleitung über die Beiträge der Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN), Stand 1. Januar 2022, N 1005 ff.
7 Urteil des Bundesgerichts 9C_692/2020 vom 29. März 2021 E. 6 und 7.
8 Im Einzelfall hat die betroffene Person substantiiert aufzuzeigen und rechtlich zu begründen, dass in der Schweiz keiner sozialversicherungsrechtlichen Erwerbstätigkeit nachgegangen wird.

9 WSN N 10




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