Die schwache Entwicklung der globalen Nachfrage, hohe Energiepreise, steigende Zinsen und vor allem der Mangel an Fachkräften in allen Wirtschaftsbereichen: Viele Entwicklungen trüben derzeit die Investitionslaune der Unternehmen – in der Schweiz genauso wie in Deutschland. Beide Länder und ihre Unternehmen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Haben sie aber auch die gleichen Lösungen, lernen sie voneinander? Wie nutzen sie den Megatrend Nachhaltigkeit in ihrer Zukunftsstrategie? Marc Steinkat, CEO der Commerzbank Schweiz, nimmt dazu in diesem Interview Stellung.

 

Hier die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, dort Deutschland als stärkstes Mitglied der Europäischen Union – erkennen Sie angesichts dieser unterschiedlichen Positionierung auch unterschiedliche Problemlösungsstrategien?

Marc Steinkat: Die Schweiz ist ebenso wie Deutschland eine starke Exportnation, deshalb wirken sich globale Verwerfungen in beiden Ländern ähnlich aus. Unternehmen haben nach wie vor Probleme, Vorleistungsprodukte rechtzeitig zu beschaffen. So gehen die Maschinen-, Elektro- und Metallbranche sowie die Chemie für 2023 von einem deutlichen Rückgang der Wertschöpfung aus. Die schwache Entwicklung der weltweiten Nachfrage und die steigenden Zinsen dämpfen die Investitionstätigkeit hier wie dort. Auch die Vorgehensweise bei der Inflationsbekämpfung ist vergleichbar. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die Leitzinsen innerhalb eines Jahres von minus 0,75 Prozent auf plus 1,75 Prozent angehoben. Noch etwas radikaler ging die Europäische Zentralbank vor, doch die Auswirkungen für Unternehmen unterscheiden sich kaum. Eine der Massnahmen, mit denen Unternehmen beider Länder gegensteuern, ist die Diversifizierung des Aussenhandels, die in der Schweiz – einem der am stärksten globalisierten Länder der Welt – schon seit der Jahrtausendwende zu beobachten ist.

 

Die wichtigsten Partner bleiben aber die direkten Nachbarn, allen voran Deutschland. Die Verflechtungen sind so eng, dass die Commerzbank die Schweiz ebenso wie Österreich als zweiten Heimatmarkt sieht. Was bedeutet das?

Marc Steinkat: Die wichtigsten Handelspartner der Schweiz sind Europa bzw. die direkten Nachbarn. So hat sie im Jahr 2021 rund 58 Prozent ihres gesamten Güterhandels mit der Europäischen Union abgewickelt. Rund drei Viertel davon mit Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien. Das liegt natürlich vor allem an der geografischen Nähe und den bilateralen Handelsabkommen. Neben Zöllen wurden auch viele technische Hürden abgebaut, die den internationalen Handel teurer und umständlicher machen würden. Wie in Deutschland wächst daneben die Bedeutung der USA und Chinas. Seit der Jahrtausendwende verschieben sich die Handelsströme zunehmend in den asiatischen Raum. So hat sich der relative Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer Asiens am gesamten Schweizer Warenhandel in den letzten 20 Jahren mehr als verzweifacht. Besonders beeindruckend sind die Zahlen aus Vietnam: Hier hat sich der Warenhandel seit dem Jahr 2000 beinahe verzehnfacht. In einer ganz anderen Liga spielt natürlich China, das wirtschaftlich immer bedeutender wird. Während die Schweiz im Jahr 2000 etwa 1,5 Prozent ihres Güterhandels mit China abwickelte, ist dieser relative Anteil auf über 7,3 Prozent angewachsen. Das liegt vor allem am Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China. Auch wenn der Schweizer Aussenhandel also vielfältiger wird und Schweizer Firmen vermehrt Handel mit Asien betreiben, bleibt die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner.

 

Verglichen mit der EU ist der Aussenhandel mit asiatischen Schwellenländern deutlich komplexer. Wie können Sie Schweizer Unternehmen dabei unterstützen?

Marc Steinkat: Gerade in diesen unruhigen Zeiten und neuen Märkten wünschen sich Unternehmen einen verlässlichen Partner, der Stabilität und Stärke für einen erfolgreichen Aussenhandel mitbringt. Genau das macht uns zu einem beliebten Partner für das Auslandsgeschäft Schweizer Unternehmen. Mit unserer starken Präsenz in Europa, Asien und den USA decken wir alle wesentlichen Handelskorridore der Welt ab. Wo immer die Märkte unserer Kunden sind: Wir sind die Bank an ihrer Seite – von Trade Services und der Exportfinanzierung über das Cash Management bis zu Kapitalmarktfinanzierungen. Wir verbinden die ganze Kompetenz und Erfahrung des Marktführers im deutschen Aussenhandel mit jahrzehntelanger Präsenz in der Schweiz. Damit bekommt das Auslandsgeschäft der Unternehmen die Bedeutung und Wertschätzung, die es verdient.

 

Im Unterschied zum deutschen Markt treten Sie in der Schweiz aber nicht als Universalbank auf. Warum nicht?

Marc Steinkat: Wir sehen die Schweiz genauso wie Deutschland als Heimatmarkt. Die Commerzbank ist die Aussenhandels- und Exportbank für Firmenkunden, die ihr Geschäft überall in der Welt tätigen. Da sprechen wir von Unternehmen mit einem Umsatz beginnend ab 20 Millionen Franken, die in der Regel im Exportgeschäft aktiv sind. Dort liegt unsere grosse Stärke. Was aber viele nicht wissen: Für internationale Kunden sind wir auch die Nummer zwei bei Bond-Emissionen in Schweizer Franken. Und unterstützen Schweizer Unternehmen bei der Finanzierung von Akquisitionen.

 

Erfolgreiche und eigentümergeführte Mittelständler haben auch Private-Banking- Bedürfnisse. Fehlt da nicht ein eigenes Private-Banking-Angebot der Commerzbank in der Schweiz?

Marc Steinkat: Wir konzentrieren uns ganz auf unser Kerngeschäft: Firmenkunden und institutionelle Kunden. Eine gute Strategie zeichnet sich durch ihre konkrete Ausrichtung aus.

 

Auch die Wirren um die Credit Suisse haben Ihre Meinung nicht geändert? Eröffnen sich da nicht neue Chancen?

Marc Steinkat: In der Tat – für unsere Position als Aussenhandels- und Exportbank. In dieser Hinsicht werden wir von Schweizer Kunden immer wieder angesprochen. Sie wünschen sich eine stabile Begleitung für ihr internationales Geschäft. Dementsprechend sehen sie sich aktiv nach Alternativen um. Zudem ist die Schweizer Industrie sehr exportorientiert und das nicht nur in Richtung Deutschland, sondern auch in Richtung Asien. Das entspricht exakt der DNA der Commerzbank. Insofern haben wir derzeit eine besondere Situation, die uns gute Chancen für weiteres Wachstum eröffnet.

 

Wie wollen Sie dieses weitere Wachstum generieren?

Marc Steinkat: Wir sehen insbesondere in der grünen Transformation eine grosse Chance für die Commerzbank. So haben wir den ersten Green Bond für Deutschland aufgelegt. Die Wende zu einer CO2-freien Wirtschaft kann nur mit mehr privater Beteiligung gelingen. Daran wollen wir massgeblich mitwirken.

 

Sie sprechen den Megatrend Nachhaltigkeit an. Steht er angesichts der vielen aktuellen Herausforderungen noch ganz oben auf der Prioritätenliste?

Marc Steinkat: Nachhaltigkeit ist alternativlos für die Zukunftsfähigkeit. Kaum ein Unternehmen kann sich den Erwartungen seiner Stakeholder an eine klare Positionierung in den unternehmerischen Verantwortungsbereichen Environment, Social und Governance (ESG) entziehen. Nicht eingehaltene Mindeststandards können schnell unter anderem den Ausschluss aus Lieferketten zur Folge haben. Dazu müssen die Unternehmen solche Nachhaltigkeitsprinzipien in ihrer gesamten Struktur verankern. In drei bis fünf Jahren werden ESGkonforme Finanzierungen auch bei kleinen und mittleren Unternehmen der Standard sein. Sustainable Finance wird regulatorisch und bankaufsichtlich forciert. Daher muss die Finanzierungsstrategie mit der Nachhaltigkeitsstrategie verbunden werden – und zwar nicht nur bei börsengelisteten Konzernen. ESG und Sustainable Finance werden für jedes Unternehmen selbstverständlich.

 

Was bedeutet das für die Finanzierung der Unternehmen?

Marc Steinkat: Vielen Unternehmen ist noch nicht klar, dass die nicht finanzielle Kennzahl der finanziellen regulatorisch gleichgestellt wird. Der Fokus von Investoren, Kunden sowie Lieferketten richtet sich immer mehr auf Nachhaltigkeitsaspekte. Ein gutes ESG-Profil wirkt sich positiv auf die Kapitalmarktfähigkeit und auf Kreditentscheidungen aus. Umwelt und Klimarisiken spielen in diesem Kontext eine hervorgehobene Rolle.

 

Wie können Sie Unternehmen dabei unterstützen?

Marc Steinkat: Wir wollen unsere Firmenkunden bei ihrer nachhaltigen Transformation unterstützen, auch wenn sie diesen Prozess gerade erst oder noch gar nicht begonnen haben. Das heisst auch, dass wir in allen Sektoren ein Umdenken und innovative Lösungen fördern, anstatt komplette Branchen kategorisch auszuschliessen. Dabei stehen wir gerne mit unserem Know-how in den drei Bereichen ESG-Strategie, Berichterstattung und Kennzahlen zur Verfügung. Zuerst geht es darum, eine überzeugende ESG-Strategie zu entwickeln oder eine vorhandene zu optimieren. Die zweite Herausforderung liegt in der Festlegung von Berichtsformaten. Drittens sind ESG-Kennzahlen und Ziele zu definieren. Die Kunst dabei ist, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Nur so kann eine erfolgreiche Verknüpfung von Nachhaltigkeits- und Finanzierungsstrategie gelingen.