Beim nachhaltigen Investieren gibt es viel zu beachten
3. Jun 2020, Finanzen

Beim nachhaltigen Investieren gibt es viel zu beachten

Auch in der Finanzwelt gewinnt Nachhaltigkeit zusehends an Bedeutung. Beim Investieren in nachhaltige Anlagen stellen sich jedoch verschiedene Fragen und Herausforderungen, mit denen sich ein Investor auseinandersetzen sollte. Nur so sind fundierte Anlageentscheide möglich.

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Mit Greta Thunberg hat vor allem der Kampf gegen die Erderwärmung ein Gesicht erhalten und ist ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Der gesellschaftliche Trend hin zu verantwortungsbewusstem Umgang mit natürlichen und sozialen Ressourcen beschränkt sich indessen nicht nur auf den Klimaschutz. Recycling, Fair-Trade, Artenschutz, Bio-Produktion oder Good Governance – die Themenfelder, bei denen sich unsere Gesellschaft teilweise schon seit Jahrzehnten um mehr Nachhaltigkeit bemüht, erstrecken sich über die unterschiedlichsten Lebens- und Wirtschaftsbereiche.
Bedeutendes Marktsegment

Auch in der Finanzwelt hat dieser Trend längst Einzug gehalten. Dabei haben sich nachhaltige Anlagen innert weniger Jahre von einem Mauerblümchendasein zu einem gewichtigen Marktsegment entwickelt. In der Schweiz und Deutschland beispielsweise haben sich in den letzten zehn Jahren die Vermögen, die in nachhaltigen Investmentfonds und Mandaten verwaltet werden, versechzehnfacht (siehe Grafik 1). In der Schweiz betrug der Anteil nachhaltiger Anlageprodukte am Gesamtmarkt per Ende 2018 rund 18 Prozent – in Deutschland hingegen lediglich 4,5 Prozent. Der hohe Unterschied lässt sich gemäss einer 2019 erschienen Studie des britischen Investmenthauses Schroders mit den Präferenzen der Anleger erklären: Gegenüber dem Nachhaltigkeitskriterium räumen deutsche Investoren der Verlustvermeidung oder der Gebührenstruktur eine höhere Priorität ein, als dies bei Schweizer Investoren der Fall ist.

Grafik 1: Ein beeindruckendes Wachstum
Die Nachfrage nach nachhaltigen Anlageprodukten wächst viel stärker als der Gesamtmarkt. Basierend auf Daten der Deutschen Bundesbank und der Schweizerischen Nationalbank fiel zwischen 2008 und 2018 das Wachstum beim Volumen nachhaltiger Anlagefonds und Mandate 17 Mal (Deutschland) bzw. 55 Mal (Schweiz) höher aus als die Zuwachsrate bei den gesamten verwalteten Vermögen.
Regulierung wird nachhaltiges Investieren weiter begünstigen
Dieser Trend sollte insbesondere in Europa durch die Regulierung zusätzlichen Rückenwind erhalten. So hat die Europäische Kommission im März 2018 ihren «Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums» veröffentlicht, der auf den Ergebnissen des Pariser Klimaabkommens 2016 sowie der Agenda 2030 der Vereinten Nationen abstützt. Mit diesem Aktionsplan sollen vorrangig drei Ziele verfolgt werden:
  • Lenkung der Kapitalflüsse in Richtung nachhaltiger Investitionen
  • Eindämmung der finanziellen Risiken, die sich aus dem Klimawandel, Naturkatastrophen sowie ökologischen und sozialen Probleme ergeben
  • Stärkung der Transparenz im Anlagegeschäft und der Wirtschaftstätigkeit
Diese Stossrichtungen bringen den Zeitgeist eines nachhaltigeren Wirtschaftswachstums zum Ausdruck. Entsprechend dürften die weiteren Schritte von einer interessierten Öffentlichkeit, politischen Akteuren und den Marktteilnehmern sehr genau beobachtet werden.
 
Die Finanzinstitute verfolgen zudem besonders aufmerksam die Diskussion darüber, inwieweit Nachhaltigkeitskriterien Eingang in die Umsetzung des Bankenregulierungswerks Basel IV finden werden. Innerhalb der Europäischen Kommission steht etwa die Idee eines so genannten «Green Supporting Factor» im Raum, wonach Banken für ökologisch nachhaltige Anlageprodukte künftig geringere Eigenmittel zu unterlegen hätten, als dies bei anderen Finanzvehikeln der Fall ist.
 
Auch wenn das Ergebnis zurzeit offen ist, zeigt allein die Debatte um diesen möglichen «Green Supporting Factor», dass eine regulatorische Begünstigung nachhaltiger Anlagen neue Probleme nach sich zieht. Natürlich ist es begrüssenswert, wenn die Politik versucht, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gesetzlich zu fördern. Nur läuft sie dabei Gefahr, in Zielkonflikte mit anderen, ebenfalls erstrebenswerten Absichten zu geraten.
Ist «gut gemeint» das Gegenteil von «gut gemacht»?
Um bei Basel IV und dem möglichen «grünen Unterstützungsfaktor» zu bleiben: Ist es tatsächlich ratsam, die Eigenmittelanforderungen von Banken – wenn auch nur zu einem gewissen Grad – von der ökologischen Nachhaltigkeit der angebotenen Produkte abhängig zu machen? Denn eine rein ökologisch verstandene Nachhaltigkeit sagt nichts darüber aus, ob diese Massnahme auch nachhaltig im Hinblick auf die finanzielle Stabilität der Finanzinstitute wäre. Wenn beispielsweise die Investitionen in kleine und marktunbekannte Windturbinenhersteller mit weniger Eigenmittel unterlegt werden müssen als Anlagen in etablierte Automobilkonzerne, führt dies unweigerlich zu Fehlallokationen und zu höheren Risiken im Finanzsystem.
 
Ebenfalls unberücksichtigt lässt die vorgesehene EU-Klassifizierung, was ein «grünes» Investment ist und welche ökologisch nachhaltigen Aktivitäten tatsächlich unter einer Finanzierungslücke leiden – obwohl die beabsichtigte Umleitung der Finanzflüsse eigentlich nur auf die Überbrückung von Finanzierungsproblemen bei ökologisch sinnvollen Geschäftstätigkeiten abzielt. Der EU-Aktionsplan lässt jedoch – Stand heute – ausser Acht, dass fehlendes Wachstum bestimmter grüner Aktivitäten nicht zwangsläufig eine Folge von mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten ist, sondern viel eher auf Faktoren wie einer tiefen Konsumentennachfrage, technologischen Schwierigkeiten oder steuerlichen Aspekten basiert.
Zielkonflikte können nicht eliminiert werden
Zudem ergeben sich mit der starken Fokussierung auf den Faktor «grün» ganz konkrete Klassifizierungsprobleme, die sich zum Teil ebenfalls in Zielkonflikten mit den anderen Absichten eines weit gefassten, auf ESG-Grundsätzen abgestützten Nachhaltigkeitsbegriffs manifestieren. Wie wird beispielsweise ein Unternehmen eingestuft, das zwar auf CO2-arme Art und Weise Solarzellen produziert, dabei aber erhebliche Defizite hinsichtlich Minimallöhne oder Arbeitsschutz aufweist? Wie ist ein Konzern zu beurteilen, der gleichzeitig Pumpen für Wasserkraftwerke herstellt, jedoch ebenfalls eine in der Kohleförderung aktive Unternehmenssparte besitzt? Oder wie werden Staatsanleihen von Ländern beurteilt, die zwar als ökologisch fortschrittlich gelten, gleichzeitig jedoch massgeblich an Energieunternehmen oder Rüstungsfirmen beteiligt sind?
Nur «nachhaltig» allein ist im Anlagekontext keine hinreichende Bedingung
Auch wenn die neue EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor explizit die Verhinderung eines pseudo-grünen Anstrichs alleine mittels PR- und Marketingkampagnen («Greenwashing») auf die Fahne geschrieben hat, zeigen die obigen Fragen auf, dass auch mit aufsichtsrechtlicher Regulierung eine klare Abgrenzung in der Praxis schwierig bis unmöglich ist. Dessen sollten sich auch Investoren bewusst sein, wenn sie ihr Vermögen nachhaltig investieren.
 
Somit stehen Anleger, Kundenberater und Portfoliomanager auch beim nachhaltigen Investieren letztlich vor den gleichen Herausforderungen wie bei klassischen Anlagelösungen. Es gilt, die unterschiedlichen Anlagelösungen zu verstehen und die Unternehmen und Staaten, deren Aktien und Anleihen als Investitionsziele dienen, genau auf ihre Nachhaltigkeit hin zu analysieren. Eine vom Regulator vorgegebene Etikettierung kann eine Entscheidungshilfe sein, dürfte aber in vielen Fällen der Komplexität in der Praxis nicht gerecht werden. Dies bedeutet aber, dass auch noch so umfassende und ausgefeilte Vorschriften zur Nachhaltigkeitsklassifizierung die subjektive Auslegung des Nachhaltigkeitsverständnisses nicht eliminieren können.
 
Bei aller Fokussierung auf die ökologische, soziale und gesellschaftliche Dimension von Nachhaltigkeit darf aus Anlegersicht jedoch eines nicht vergessen werden: Es gilt immer auch die Nachhaltigkeit im Sinne des Anlagegeschäfts angemessen zu berücksichtigen. Denn unabhängig davon, ob es sich um explizit-nachhaltige oder um andere Investments handelt – die Anlageprodukte sollten in jedem Fall kongruent zur persönlichen Anlagestrategie sein und sich hinsichtlich Risiken und Rendite nicht nachteilig auf das Gesamtportfolio auswirken.
Nicht per se schlechter - aber auch nicht per se besser
Grafik 2 zeigt, dass sich Aktien von nachhaltig eingestuften Unternehmen nicht verstecken müssen. Die Gesamtperformance des MSCI World SRI – ein Index, der die im MSCI-World Index enthaltenen Aktien von Best-in-Class-Unternehmen gemäss ESG-Grundsätzen abbildet – liegt in etwa gleichauf mit jener des Gesamtmarkts.
 
Grafik 2: Nachhaltige Anlagen brauchen den Vergleich nicht zu scheuen
Zusammengefasst spricht für den Anleger auch aus rein finanzieller Sicht nichts dagegen, sein Vermögen teilweise oder ganz nachhaltig zu investieren. Er sollte sich jedoch bewusst sein, dass auch ESG-Anlagen nicht frei von Risiken sind und dass auch eine umweltfreundlichere Regulierung nicht davon entbinden kann, die tatsächliche Nachhaltigkeit eines Finanzprodukts zu hinterfragen. Insbesondere gilt es sich bewusst zu sein, dass es hinsichtlich der unterschiedlichen Nachhaltigkeits-Dimensionen zu Zielkonflikten kommen kann und entsprechende Kompromisse eingegangen werden.

Erklärt: Was heisst eigentlich ESG?
ESG ist die Abkürzung für Environment, Social und Governance. Im Anlagekontext bedeutet ESG-konform also, dass es sich bei entsprechenden Investments um Anlageprodukte handelt, die hinsichtlich der ökologischen, sozialen und unternehmensführerischen Dimension als nachhaltig gelten – also nicht zu Lasten der heutigen und künftigen Generationen sind.

[1] Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten sind alle Angaben in Euro gehalten. Basierend auf einem EURCHF-Wechselkurs zum 31.12. des entsprechenden Jahres.




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