In der Schweiz ansässige Unternehmen, die Dividenden oder Lizenzen aus deutschen Quellen beziehen, unterliegen der deutschen Quellensteuerpflicht.1 Nach dem höherrangigen DBA mit der Schweiz besitzt Deutschland für diese Vergütungen im Verhältnis zu Unternehmen jedoch kein Quellensteuerrecht. Zur Durchsetzung dieses «DBA-Nullsteuersatzes»2 müssen die Unternehmen jedoch die Hürde der Anti-Treaty-Shopping-Regel des § 50d Abs. 3 EStG überwinden, mit der eine missbräuchliche Nutzung des DBA-Nullsteuersatzes vermieden werden soll. Die im Jahr 2021 erfolgte Neufassung dieser Bestimmung hat grundsätzlich auch Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen, da nunmehr keine Unterscheidung zwischen der EU und Drittstaaten erfolgt. Zwar wurde die persönliche und wirtschaftliche Entlastungsberechtigung verschärft, allerdings wurde auch erstmals ein Motivtest in Form eines Nachweises zugelassen, dass die Erlangung eines steuerlichen Vorteils kein Hauptzweck für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft war.3 Nachdem die Neuregelung nun bereits fast vier Jahre Anwendung findet und aufgrund der Anwendung für Altfälle auch schon die Finanzgerichte (FG) beschäftigt, ist es Zeit für eine Analyse, wie sich die Neuregelung ausgewirkt hat.

Quellensteuerentlastung auf deutsche Dividenden und Lizenzen
Aktuelle Rechtsprechung und Praxiserfahrungen mit dem Bundeszentralamt für Steuern
Die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG sieht insgesamt vier Alternativen zur Entlastungsberechtigung auf den DBA-Nullsteuersatz vor:
– Persönliche oder sachliche Entlastungsberechtigung,
– Escapemöglichkeit über Principal-Purpose- Test (PPT = Motivtest) oder
– Börsentest.4
Die persönliche Entlastungsberechtigung setzt grundsätzlich voraus, dass die an der ausländischen Gesellschaft (Antragstellerin) beteiligte Person (Gesellschafter / Anteilseigner) bei einem Direktbezug nach der gleichen (DBA-)Rechtsgrundlage entlastungsberechtigt ist. Somit wäre die persönliche Entlastungsberechtigung – abweichend zur bisherigen Regelung – nicht mehr anwendbar, sofern der mittelbare Anteilseigner in einem Drittstaat ansässig ist, was bei internationalen Konzernstrukturen häufig der Fall ist.5 In einem aktuellen Merkblatt hat das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Abstimmung mit dem BMF nun erfreulicherweise klargestellt, dass die bis 2021 geltende Regelung zur persönlichen Entlastungsberechtigung weiterhin anwendbar bleibt. Dies hat zur Folge, dass auch eine persönliche Entlastungsberechtigung eines mittelbaren Gesellschafters der Antragstellerin nach einem (anderen) DBA berücksichtigungsfähig ist, sofern die Antragstellerin selbst nicht entlastungsberechtigt ist.6 Handelt es sich beim mittelbaren Gesellschafter um eine Gesellschaft, müssen bei dieser selbst (oder deren Anteilseignern) die sachlichen Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sein. Bei einer natürlichen Person als mittelbarem Gesellschafter dürfte dessen persönlicher Entlastungsanspruch auf 15 % berücksichtigungsfähig sein.7
Entlastungsberechtigung wurde erheblich verschärft, indem zusätzlich zur nicht näher definierten Wirtschaftstätigkeit ein wesentlicher Zusammenhang mit der Einkunftsquelle verlangt wird. Dieser bezweckt die Vermeidung einer missbräuchlichen Zwischenschaltung einer wirtschaftlich tätigen Kapitalgesellschaft ohne Bezug zur Einkunftsquelle.8 Als Wirtschaftstätigkeit dürfte in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung von einer wirklichen bzw. realen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen sein.9 Neben einer funktionalen Verflechtung zwischen der Wirtschaftstätigkeit des Vergütungsgläubigers und -schuldners erfüllt nach der Gesetzesbegründung auch eine aktive Beteiligungsverwaltung in Form einer «Führungsholding» dieses Kriterium (s.u.), was insbesondere für Holdinggesellschaften relevant ist. Demgegenüber soll eine Zurechnung einer Wirtschaftstätigkeit konzernverbundener Gesellschaften im gleichen Ansässigkeitsstaat auf eine Holding nicht möglich sein.10
Eine begünstigte aktive Beteiligungsverwaltung (ABV) setzt voraus, dass die strategischen Führungsentscheidungen nachweislich durch die ausländische Holdingsgesellschaft getroffen werden, die sich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und Bedeutung für den Bestand der geleiteten Beteiligungsgesellschaft auszeichnen,11 beispielsweise durch
– normative und strategische Konzernführungsaufgaben,
– langfristige Investitionsentscheidungen sowie Entscheidungen über das mittel und langfristige Produkt- und Dienstleistungsangebot,
– langfristige Vorgaben für die Finanzierungspolitik,
– Entscheidungen über Veränderungen des Beteiligungsbesitzes oder des gezeichneten Kapitals,
– Entscheidungen über den Rechtsformwechsel oder Standortveränderungen,
– Personalentscheidungen beim Führungspersonal,
– Kontrolle/Überprüfung (Controlling/ Monitoring); Produktüberwachung,
– Festlegung von Budgets,
– Zustimmungsvorbehalte bei Vertragsabschlüssen mit langfristiger Bindung und/oder wesentlicher Auswirkung auf die Vermögens‑, Finanz- oder Ertragslage sowie
– Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung.
Nach dem – für die Annahme einer ABV massgeblichen – BMF-Schreiben vom 24.01.2012 sind folgende Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen:
– Halten von mindestens zwei Beteiligungen
von einigem Gewicht12 und
– Wahrnehmung geschäftsleitender Funktionen gegenüber mindestens zwei Tochtergesellschaften.
Bei mehr als zwei Beteiligungen sollte die geschäftsleitende Funktion gegenüber der ausschüttenden deutschen Tochtergesellschaft ausgeübt werden, weil es andernfalls am wesentlichen Zusammenhang der Einkunftsquelle mit der Wirtschaftstätigkeit der Holding fehlen kann.13 Die Finanzverwaltung geht in dem o.g. Schreiben weiter davon aus, dass die Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen wie Lizenzverwertung oder Kreditgewährung nicht ausreichend sein soll. Zudem sollen mündliche Führungsentscheidungen ohne hinreichende Dokumentation als Nachweis nicht ausreichen. Diese Auffassung wird in der Kommentierung und in der Rechtsprechung aber zurecht abgelehnt.14 Allerdings stellt sich dann in der Praxis trotzdem die Beweisfrage. Sofern die o.g. Kriterien erfüllt sind, ist nach der Gesetzesbegründung auch bei blosser Ausschüttung von Dividenden von einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auszugehen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass bei Vorliegen einer aktiven Beteiligungsverwaltung grundsätzlich der wesentliche Zusammenhang der Einkunftsquelle mit dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu bejahen ist.15 Gleichwohl ist es unbedingt empfehlenswert, ein für eine Vermögensverwaltung ausreichendes Mindestmass an personeller und sachlicher Ausstattung vorzuhalten.16
Sollten die zuvor dargelegten Voraussetzungen der Entlastungsberechtigung nicht erfüllt sein, sieht die Neuregelung auch für Drittstaatenfälle erstmals die Möglichkeit des Nachweises vor, dass die Erlangung eines steuerlichen Vorteils nicht den Hauptzweck der Einschaltung der ausländischen Gesellschaft darstellt. Die Gesetzesbegründung enthält hierzu u.a. folgende Kernaussagen:17
– Es sind sämtliche aussersteuerliche Gründe zu berücksichtigen (auch aus einem Konzernverhältnis).
– Es bedarf einer Einzelfallbetrachtung für die Feststellung, dass keiner der Hauptzwecke der Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist.
Nach der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache GS18 muss der Muttergesellschaft für Zwecke des Motivtests die Nachweismöglichkeit eingeräumt werden, dass keine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde. In Bezug auf die Konzernverhältnisse hat der EuGH zudem entschieden organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale, einschl. von Strukturen und Strategien der Unternehmensgruppe zur betreffenden Muttergesellschaft, bei der Führung des Gegenbeweises zu berücksichtigen. Damit kann die Tätigkeit einer im gleichen Staat ansässigen aktiven Konzerngesellschaft – abweichend zur oben erläuterten sachlichen Entlastungsberechtigung – für Zwecke des Motivtests im Wege einer Merkmalsübertragung einer Holding als aktive Tätigkeit zugerechnet werden.19 Diese EuGH-Rechtsprechung wurde nun auch vom FG Köln für die Auslegung des Motivtests des § 50d Abs. 3 EStG als massgeblich angesehen.20 Zudem sieht die EuGH-«Dänemark»-Rechtsprechung21 zu sog. «Durchleitungsgesellschaften»22 vor, dass selbst die ausschliessliche Erzielung von Einkünften aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern per se nicht missbräuchlich ist, sofern sich diese nicht auf die Entgegennahme von Einkünften und deren zeitnaher Weiterleitung an den tatsächlich Nutzungsberechtigten beschränkt und eine tatsächliche reale wirtschaftliche Tätigkeit fehlt.23 Somit liegt keine missbräuchliche Gestaltung vor, sofern die Dividenden für Reinvestitionen, Schuldentilgungen oder Darlehensgewährungen an Schwestergesellschaften verwendet werden.24 Im Einklang mit dieser EuGH-Rechtsprechung hat das FG Köln im o.g. Urteil für die Auslegung des Motivtests auch entschieden, dass die Antragstellerin nicht als klassische Durchleitungsgesellschaft zu qualifizieren ist und auch insoweit nicht von einer missbräuchlichen, auf rein steuerlichen Gründen beruhenden, Gestaltung auszugehen ist.25 Ob allerdings die deutsche Finanzverwaltung diese unionsrechtskonforme Auslegung akzeptieren wird, erscheint aufgrund des sehr weit gefassten (schädlichen) Einbezugs sämtlicher in- und ausländischer Steuervorteile26 eher fraglich. Für diesen Fall sollte auf das günstige rechtliche Umfeld sowie die Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte in der Schweiz als aussersteuerliche Gründe verwiesen werden.27

Ob eine potentielle Unionsrechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG über die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit (KVF) auch für den Drittstaat Schweiz anwendbar ist, wird nach der Finanzgerichtsrechtsprechung zwar verneint.28 Diese Rechtsprechung lässt aber unbeachtet, dass nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung die KVF immer dann anwendbar ist, wenn das jeweilige Gesetz keine Mindestbeteiligungsschwelle vorsieht, was bei § 50d Abs. 3 EStG der Fall ist.29 U.a. aus diesem Grund wird diese Rechtsprechung in der Kommentierung weit überwiegend (zurecht) kritisiert.30 Insoweit sprechen gute Gründe dafür, dass sich der Bundesfinanzhof (BFH) im Revisionsverfahren dieser Auffassung anschliessen wird.31 Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung nicht zwischen Gemeinschafts- und Drittstaatssachverhalten differenziert hat und somit von einem einheitlichen Anwendungsbereich auch für Drittstaaten ausgegangen ist.32 Für Lizenzen dürfte die KVF zwar nicht anwendbar sein,33 jedoch dürfte dies vernachlässigbar sein, da – im Gegensatz zu Dividenden – nach dem DBA CH-D auch für in der Schweiz ansässige natürliche Personen eine Quellensteuerreduzierung auf 0 % im Rahmen der persönlichen Entlastungsberechtigung (s.o.) möglich sein dürfte.34
Mit Wirkung ab 2024 wurden in DBA-Fällen ohne deutsches Quellenbesteuerungsrecht die jahresbezogenen Freigrenzen für Lizenzvergütungen von 5 auf 10 TEUR erhöht. Sofern diese Grenze bis zum Jahresende nicht überschritten wird, können die Vergütungen quellensteuerfrei ausgezahlt werden. Erfreulicherweise führt die Überschreitung der Grenze nicht zu einer rückwirkenden Quellensteuerpflicht des freigestellten Betrags.35
Nachdem das BZSt zunächst die Nachweise für die ABV eher restriktiv ausgelegt und für die Führungsentscheidungen sogar Gesellschafterbeschlüsse verlangt hat, ist nun eine Tendenz zu erkennen, dass die ABV auch bei substanzarmen Holdinggesellschaften im Regelfall anerkannt wird, sofern schriftliche Nachweise der Führungsentscheidungen vorgelegt werden. Dem Vernehmen nach soll auch der Motivtest weniger restriktiv ausgelegt werden. Auch die Bearbeitungszeiten haben sich verkürzt. Nachdem die Bearbeitungszeiten 2023 im Durchschnitt bei 480 Tagen im Freistellungsverfahren und sogar 615 Tagen im Erstattungsverfahren lagen, ist nun eine deutliche Verkürzung der Bearbeitungszeiten zu konstatieren, insb. was Folgeanträge anbelangt. Für Anträge von Schweizer Gesellschaften beträgt die Bearbeitungszeit aktuell wohl ca. 20 Monate.36 Bei verspätet erfolgten Freistellungen besteht im Übrigen die Möglichkeit, während des Freistellungszeitraums einbehaltene Quellensteuern vom Betriebsstättenfinanzamt des Vergütungsschuldners zurückzufordern. Abschliessend ist noch darauf hinzuweisen, dass nach der EuGH-Rechtsprechung Erstattungsbeträge zu verzinsen sind und die aktuellen zu langen Bearbeitungszeiten unionsrechtswidrig sein dürften.37 Durch die Verlängerung der Geltungsdauer für die Freistellungsbescheinigung von drei auf fünf Jahre ab 2025 dürfte sich die Situation weiter entspannen und der Aufwand für die Antragsteller deutlich verringern.
Die wesentliche Gestaltungsmöglichkeit stellt zunächst die Umsetzung der aktiven Beteiligungsverwaltung dar, idealerweise mit einem Mindestmass an Substanz. Existiert neben der Holdinggesellschaft eine aktive Schweizer Gesellschaft, bietet sich eine Fusion der beiden Gesellschaften an, um die nötige Substanz zu bilden, zumal Holdinggesellschaften unter rein steuerlichen Aspekten heute nicht mehr vorteilhafter sind und möglicherweise mit der Fusion gleichzeitig eine Umstrukturierung erfolgen kann. Eine weitere Lösungsvariante für Dividenden ist die Zwischenschaltung einer deutschen GmbH & Co KG. Dies hat zur Folge, dass Dividenden aus der deutschen Kapitalgesellschaft bei der GmbH & Co KG als gewerbliche Einkünfte im Rahmen einer Steuerveranlagung zu erfassen sind, was wiederum die Anrechnung der Quellensteuer ermöglicht und den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG ausschliesst. Die Verwendung der Gewinne durch die Schweizer Holding erfolgt ohne Quellensteuereinbehalt als Entnahme aus der deutschen Personengesellschaft.38
Die Neugestaltung der deutschen Anti-Treaty- Shopping-Regel wirft auch fast vier Jahre nach ihrer Einführung viele Fragen auf und führt zu einer Verschärfung bei der sachlichen Entlastungsberechtigung. Erfreulicherweise führt das aktuelle Merkblatt des BZSt zu einer Entschärfung bei der persönlichen Entlastungsberechtigung sowie bei der Börsenklausel. Ob die potentielle Unionsrechtswidrigkeit des Motivtests über die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit zu einer weiteren Entschärfung für Dividendenbezüge führen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sollte gegen Ablehnungsbescheide unbedingt Einspruch eingelegt werden. Es ist empfehlenswert, bereits vor einer geplanten quellensteuerbelasteten Zahlung aus Deutschland eine Freistellungsbescheinigung zu beantragen, deren Geltungsdauer erfreulicherweise von drei auf fünf Jahre verlängert wurde. Einerseits, weil die Bearbeitungsdauer aktuell mindestens ein Jahr beträgt und andererseits, weil so bis zur effektiven Zahlung noch die Möglichkeit besteht, Substanz aufzubauen, sofern diese nach der Antragsablehnung durch das BZSt noch nicht ausreicht. Wird hingegen zuerst eine Dividenden- oder Lizenzzahlung geleistet und erst danach eine Rückerstattung der abgeführten Quellensteuer beantragt, verbleibt es im ungünstigsten Fall bei der erheblichen zusätzlichen Quellensteuerbelastung.