Handelskammerjournal-Versicherung-Haftpflichtansprueche
4. Aug 2014, Recht & Steuern | Haftpflichtansprüche

Richtig versichert in Deutschland und in der Schweiz

Haftpflichtansprüche gehören zu den häufigsten Problemen, mit welchen die produzierende Industrie aufgrund ihrer unternehmerischen Tätigkeit konfrontiert wird. Besonders mangelhafte Konsumprodukte – die in Massen hergestellt und international vermarktet werden – können ihre Hersteller und Vertreiber in grosse Schwierigkeiten bringen. Ein Praxisbeispiel als Motivation für die Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Die optimale Herangehensweise bei mangelhaften Produkten betrifft schweizerische wie deutsche Unternehmen gleichermassen – verstärkt namhafte Produzenten bekannter Konsummarken. Doch inwiefern sind die Auswirkungen fehlerhafter Produkte in unseren beiden Ländern überhaupt versicherbar?

Diese Frage soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – anhand des folgenden Beispiels diskutiert werden, welches im Schadenalltag häufig vorkommende Fälle nachbildet.

Das Fallbeispiel

Bei einem Hersteller von Glasbehältern für Getränke traten in der Produktion Unregelmässigkeiten auf, die bei zwei Millionen Flaschen zu stark erhöhter Brüchigkeit führten. Dieser Hersteller belieferte verschiedene Abfüller, die wiederum ihre kohlensäurehaltigen Getränke in mehreren Ländern flächendeckend in Supermärkten, an Kiosken, Tankstellenshops et cetera an Konsumenten verkaufen. Es kam bereits in verschiedenen Ländern zu mehr oder weniger ausgeprägten Schnittverletzungen bei Konsumenten – und aufgrund der Brüchigkeit bestand eine Explosionsgefahr der abgefüllten Flaschen.

Nachdem das Problem erkannt wurde, riefen die Abfüller in Zusammenarbeit mit dem Hersteller die betroffenen Getränke zurück. Dadurch wurden insbesondere die folgenden Massnahmen erforderlich:

  • Inserate in den Printmedien sowie Fernseh- und Radiospots in den betroffenen Märkten, worin das Publikum über die betroffenen Produkte und den Rücknahmeweg orientiert wurde – inklusive Erstattung des Kaufpreises; um eine möglichst vollständige Abdeckung zu erreichen, musste die Informationskampagne in mehreren Wellen geführt werden. 
  • Sammlung, sichere Zwischenlagerung und Entsorgung der zurückgegebenen Getränke, unter Berücksichtigung des Glas-Recyclings. 
  • Abwicklung der Schadenersatzansprüche der verletzten Konsumenten. 
  • Abwicklung der Schadenersatzansprüche der Abfüller gegenüber dem Hersteller.

Alles in allem verursachten diese Massnahmen Kosten von über fünf Millionen Schweizer Franken – beziehungsweise Euro.

Und was ist von all dem überhaupt versicherbar?

Die Betriebshaftpflichtversicherer unserer beiden Länder bieten der produzierenden Industrie – neben der sogenannten Grunddeckung für Personen- und Sachschäden – auch verschiedene Zusatzdeckungen an, die für unser Fallbeispiel von Interesse sind. Diese greifen in unserem Beispiel bezüglich der Schadenersatzansprüche der Konsumenten, die Schnittverletzungen erlitten haben. Die angesprochenen Zusatzdeckungen werden in Deutschland in der Regel unter dem Titel «Erweiterte Produkthaftpflicht» vertrieben, in der Schweiz jeweils als Einzeldeckungen im Baukastensystem. Die Produktrückrufdeckung an sich wird in Deutschland immer gesondert angeboten, oftmals auch als eigenständige Police.

Der offene Produktrückruf: Steuern Sie Ihren Umgang mit den Medien, bevor dies die Behörden für Sie übernehmen.

Für unser Fallbeispiel ist in erster Linie die Zusatzdeckung für den Produktrückruf von Interessen. Wenn klar ist, dass aufgrund der Bestimmungen über die Produktsicherheit ein Rückruf über die Medien erfolgen muss, sind die Unternehmen gut beraten, den Rückruf selber einzuleiten und die Mitteilungen an die Öffentlichkeit über die Medien fachkundig zu gestalten. Leitet eine Behörde den Rückruf wegen Untätigkeit des Unternehmens ein, so kann das Unternehmen die Kontrolle über die weiteren Vorgänge verlieren.

Bei entsprechender Ausgestaltung der Klausel übernimmt der Versicherer nicht nur die Kommunikationskosten (Inserate + Spots), die in unserem Beispiel immerhin rund eine Million ausmachten, sondern auch weitere Kosten wie Rücktransport, Zwischenlagerung und Entsorgung der mangelhaften gefährlichen Produkte – und das im gesamten geographischen Geltungsbereich der Versicherung. Neben einer gesetzeskonformen und technisch korrekten Vorgehensweise wird der Kostenoptimierung ein grosser Stellenwert beigemessen, indem zum Beispiel auf möglichst kurze Transportwege geachtet wird und damit verbunden, wo sinnvoll, auf eine dezentrale Entsorgung.

Und was ist mit dem Verlust der abgefüllten Getränke?

Erheblich sind in unserem Beispiel auch die mit dem Verlust der abgefüllten Getränke verbundenen Kosten. Die vom Hersteller gelieferten mangelhaften Glasflaschen wurden durch die Abfüller gereinigt, etikettiert, mit dem Getränk abgefüllt und mit einem Metalldeckel (Drehverschluss) verschlossen. Aufgrund der mangelhaften Flaschen gingen zwei Millionen Abfüllungen verloren. Die etikettierten, abgefüllten und verschlossenen Flaschen sind nicht von der vorerwähnten Grunddeckung erfasst.

Für diesen Schadensposten kann man jedoch eine Deckung für sogenannte Verbindungs-, Vermischungs- und Verarbeitungsschäden einkaufen. So werden Ansprüche der Abfüller für ihre mangelhaften Endprodukte abgedeckt, wobei die Versicherung des Glasherstellers den Wert der Glasflaschen stets herausrechnet.

Nicht alle Risiken sind versicherbar.

Nicht jedes Risiko, das ein Unternehmen trifft, ist versicherbar. Die Abfüller werden in unserem Fallbeispiel mit weiteren Ansprüchen an den Glashersteller herantreten – wie dem von ihnen im Markt erlittenen Reputationsschaden, entgangenen Gewinnen oder Kundenverlusten wegen ereignisbedingtem Lieferantenwechsel. Solche weitergehenden Ansprüche sind in der Regel nicht konkret nachweisbar und damit in der Schadenpraxis kaum fassbar. Sie sind denn auch regelmässig nicht versicherbar.

Ein stets heikles Thema bei internationalen Firmengruppen: die Compliance im Versicherungsbereich.

Eine zusätzliche Komplikation kann erwachsen, wenn die in einem EU-Staat domizilierte Tochtergesellschaft eines schweizerischen Konzerns oder die schweizerische Tochter eines EU-Konzerns die Herstellerin der mangelhaften Glasflaschen war. Konzerne mit Tochtergesellschaften oder Niederlassungen im Ausland kaufen oftmals ein internationales Versicherungsprogramm ein.

  • Konzern im Heimatstaat: Masterpolice, die mit einer Reihe von Zusatzdeckungen ausgestattet ist. 
  • Tochtergesellschaft im Ausland: Lokalpolicen in den jeweiligen Ländern, die in der Regel lediglich eine Grunddeckung für Personen- und Sachschäden bieten.

Das hat zur Folge, dass der Produktrückruf und der Verbindungs-, Vermischungs- oder Verarbeitungsschaden nicht unter der Lokalpolice im Land des Glasproduzenten reguliert werden können, sondern nur unter der Masterpolice, wo die Tochtergesellschaften regelmässig mitversichert sind. Schadenzahlungen aus der Masterpolice an eine Tochtergesellschaft im Ausland sind jedoch im Verhältnis Schweiz-EU meist unzulässig, da im Versicherungsgeschäft zwischen der Schweiz und der EU leider keine volle Freizügigkeit besteht. Das gilt folglich unabhängig davon, ob die Mutter in der EU und die Tochter in der Schweiz ansässig ist oder umgekehrt.

Die gesetzeskonforme Lösung in einer solchen Konstellation ist unter dem heute bestehenden System eine Schadenzahlung an die Muttergesellschaft im Rahmen der sogenannten Financial Interest Cover resp. Business Continuity Cover. Unter diesem Konzept wird die lokal nicht gedeckte haftpflichtrechtliche Verbindlichkeit der Tochtergesellschaft als Schaden der Muttergesellschaft definiert, verursacht durch die entsprechende Wertminderung der Tochtergesellschaft.

In einem internationalen Versicherungsprogramm – wenn zumal durch das Programm die Schweiz und EU-Länder umfasst werden –drängt sich deshalb die Konsequenz auf, die einzelnen Lokalpolicen mit einer adäquaten Deckung auszustatten. Im konkreten Einzelfall kann dies auch die Aufnahme sinnvoller Zusatzdeckungen nahe legen. Das erspart einer Schweiz-EU-übergreifenden Unternehmensgruppe weitgehend interne Transferprobleme.

Die Aufnahme einer Financial Interest respektive Business Continuity Klausel in die Masterpolice ist aber dennoch sinnvoll. Dadurch kann sichergestellt werden, dass für allfällige weitergehende Deckungen der Masterpolice mindestens unter dieser allfällige Schadenzahlungen geleistet werden können – sei dies bezüglich Deckungsumfang oder Entschädigungslimiten.

Last but not least: Die Do's and Don'ts für Unternehmen in einem Schadenfall

Sprechen Sie möglichst frühzeitig mit Ihrem Versicherer! Also bereits bei ersten Verdachtsmomenten und nicht erst, wenn die Situation schon hoffnungslos verfahren ist. Besonders wichtig: Machen Sie gegenüber Anspruchstellern keine Zusagen, bevor Sie die Zustimmung Ihres Versicherers eingeholt haben – sonst riskieren Sie den Verlust des Versicherungsschutzes.

Denken Sie daran, dass Sie mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages oder gar eines ganzen Versicherungsprogrammes nicht lediglich eine Zahlstelle eingekauft haben. Sie haben sich die Dienste eines versierten Dienstleisters gesichert, der Sie durch Rückrufaktionen und der Abwicklung von Ansprüchen kompetent begleiten kann. Komplexe Schadenfälle, die für Sie ein einzelnes, ja einzigartiges und noch nie da gewesenes Ereignis darstellen, sind das Kerngeschäft Ihres Industrieversicherers.

(Bildquelle: © filmfoto/iStockphoto)




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