Das Reihengeschäft in der Umsatzsteuer – wenn der Normalfall zum Problemfall wird
13. Jan 2015, Recht & Steuern | Reihengeschäft

Wenn der Normalfall zum Problemfall wird

Reihengeschäfte gehören zu den Königsdisziplinen in der Umsatzsteuer. Aber warum ist das eigentlich so? Diese Geschäfte sind in der Praxis üblich und kommen ständig in unterschiedlichsten Konstellationen vor.

Der folgende Praxisfall orientiert sich bewusst an einem herkömmlichen Normalfall. Es werden die praktischen Probleme gezeigt, die entstehen, wenn ein mittlerer Unternehmer im Reihengeschäft die Versendung veranlasst. Obwohl eine solche Handhabung des Reihengeschäfts häufige Alltagspraxis ist, sollte aus umsatzsteuerlicher Sicht aktuell wohl eher davon abgeraten werden. Divergierende Gerichtsurteile und eine komplizierte Rechtslage in Deutschland versetzen die betroffenen Unternehmen in Ungewissheit.

Das Reihengeschäft, eine Einführung

Wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschliessen und der Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer an den letzten Abnehmer gelangt, handelt es sich um ein Reihengeschäft. Wenn dann der mittlere Unternehmer die Beförderung oder Versendung anordnet oder durchführt, räumt ihm der Gesetzgeber ein Wahlrecht bezüglich der Zuordnung der Warenbewegung ein (gemäss § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG).

Dies kommt durch die generelle Vermutungsregel des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG zustande, nach der die Beförderung oder Versendung der ersten Lieferung zuzuordnen ist – es sei denn, der mittlere Unternehmer kann nachweisen, dass er «den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat». Ist dieser Tatbestand erfüllt, wird die Beförderung oder Versendung der zweiten Lieferung zugeordnet. Auf die Praxis bezogen wird diese Vorschrift von der Rechtsprechung der letzten Jahre allerdings sehr unterschiedlich ausgelegt.

Ein weiteres Beispiel, wie §3 Abs.6 Satz 6 UStG ausgelegt werden kann zeigt ein aktuelles Urteil des FG Münster vom 16.1.2014. Dieses liegt nun zur Revision beim BFH (XI R 12/14). Hier hatte ein Unternehmer vorerst das Nachsehen, der sich genau an die damalige im UStAE (bzw. in den damals geltenden UStR 2008) niedergelegte Auffassung der Finanzverwaltung gehalten hat.

Ein Fallbeispiel aus der Praxis

Fall: Ein mittlerer Unternehmer im Reihengeschäft organisiert den Transport der Handelsware von Deutschland in die Schweiz.

    • Kurze Darstellung des Sachverhalts

Beispiel: Ein deutsches Unternehmen hatte an ein britisches Unternehmen und dieses wiederum an einen Abnehmer in den Vereinigten Arabischen Emiraten verkauft – während die Ware unmittelbar von Deutschland in die Vereinigten Arabischen Emirate versandt worden war.

Dieser, vor dem FG Münster verhandelte Fall, wir exemplarisch leicht abgewandelt und auf einen ähnlichen Beispielsfall projiziert  – der nach der Urteilsbegründung mit dem gleichen Ergebnis aufgefallen wäre:

Abgewandeltes Fallbeispiel:

Im Rahmen eines Reihengeschäfts werden Handelswaren aus Deutschland in die Schweiz verkauft. Ein deutsches Unternehmen (hier vereinfachend: DE) agiert dabei als erster Lieferer. Als erster Erwerber und mittlerer Unternehmer fungiert ein österreichischer Händler (hier vereinfachend: AT) und ein Abnehmer mit Sitz in Zürich tritt als letzter Erwerber auf. AT beauftragt einen Spediteur, die Handelsware bei DE abzuholen und nach Zürich zu transportieren. Laut Ausfuhrpapieren agiert DE als zollamtlicher Anmelder der Ausfuhr und als «Versender/Ausführer» sind AT und DE angegeben. At tritt gegenüber DE mit seiner österreichischen USt-IdNr. auf und DE und AT vereinbarten als Lieferkonditionen «ab Werk».

Während DE seine Warenlieferung an AT gerne als umsatzsteuerfreie Ausfuhr in die Schweiz behandeln möchte, stützt sich das deutsche Finanzamt auf die vom BFH (V. Senat) vertretene Auffassung, die Lieferung an AT sei steuerpflichtig. Begründet wird diese Auffassung damit, dass AT seinen Lieferanten DE über den Weiterverkauf nach Zürich informiert habe und die Lieferung von DE an AT durch die Kenntnis des Weiterverkaufs seitens DE als in Deutschland ruhende Lieferung im Reihengeschäft einzustufen sei.

  • Würdigung nach aktueller Rechtsauffassung des FG Münster (Urteil vom 16.01.2014)

Massgebend für die Frage, ob AT gemäss §3 Abs. 6 Satz 6 UStG «den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet» habe, ist, ob AT den ersten Unternehmer DE über den Weiterverkauf noch vor Transport der Gegenstände informiert hat. Diese Auffassung vertritt das FG Münster in Anlehnung an eine Entscheidung des V. BFH-Senats. Auch der Gebrauch einer österreichischen USt-IdNr. durch AT ist für das FG Münster kein entscheidendes Indiz – das würde für eine bewegte und damit steuerfreie Lieferung zwischen DE und AT sprechen.

Noch vor Kurzem hat der XI. Senat des BFH in ähnlicher Sache anders entschieden. Bei der Frage, ob der mittlere Unternehmer gemäss §3 Abs. 6 Satz 6 UStG «den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet» hat, sollte es nach dem XI. Senat des BFH auf die umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ankommen. Diese Rechtsprechung liess das FG Münster in seinem jüngsten Urteil jedoch explizit ausser Acht.

  • Einschätzung der Verfasser 

Das entscheidende Problem ist m.E. der Umstand, dass es in Deutschland keine klare Rechtslage zur Ortsbestimmung im umsatzsteuerlichen Reihengeschäft gibt. Wenn der mittlere Unternehmer den Transport veranlasst, ist durch das Gesetz leider nur sehr schwammig festgelegt, dass zwar grundsätzlich die Lieferung an den mittleren Unternehmer als bewegte (und damit bei Exporten steuerfreie) Lieferung sein soll, jedoch die Lieferung des mittleren Unternehmers an dessen Kunden die bewegte (und damit bei Exporten steuerfreie) Lieferung ist – wenn der mittlere Unternehmer «den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat». Wann dies aber der Fall ist, darüber schweigt das Gesetz und eröffnet damit einen weiten Auslegungsspielraum für die Gerichte.

Diesbezüglich sollte sich eine für die beteiligten Unternehmer wohlwollende Auslegung durchsetzen, die im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und Verhältnismässigkeit steht. Dabei kann es gemeinhin nicht auf ein einziges Sachverhaltsdetail ankommen, wie im aktuellen Urteil des FG Münster. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass es alleine auf die Mitteilung des Weiterverkaufs ankommt, würde § 3 Abs 6 Satz 6 UStG vermutlich folgendermassen lauten: «Wird der Gegenstand der Lieferung dabei durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der Zugleich Lieferer ist, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzurechnen – es sei denn, er teilt seinem Lieferanten noch vor Beförderung oder Versendung mit, dass er den Gegenstand weiter verkauft.»

Aufgrund der derzeitigen Rechtslage ist allerdings jeder Umsatz im Reihengeschäft anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu untersuchen. Dabei könnte zum Beispiel an folgende Umstände gedacht werden:

  • Wo sind die beteiligten Parteien ansässig? 
    • Sind die ersten beiden Unternehmer des Reihengeschäfts deutsche Unternehmer, spricht dies indiziell für das Vorliegen einer ruhenden Lieferung zwischen ihnen (weil beide Parteien dies wünschen). 
    • Für eine Zuordnung der bewegten Lieferung zur ersten Lieferung spricht indiziell, wenn der erste Abnehmer im Ausland ansässig ist.
    • Indiziell spricht es dafür dass die erste Lieferung eine bewegte Lieferung ist, wenn der erste Abnehmer eine ausländische USt-IdNr. verwendet.
  • Wer war der Ausfuhranmelder im Falle einer Warenbewegung ins Drittland? 
    • Ist der erste Lieferer der Ausfuhranmelder, spricht dies für eine Zuordnung der bewegten Lieferung zur ersten Lieferung. 
    • Ist der erste Abnehmer der Ausfuhranmelder, kann indiziell die Zuordnung der bewegten Lieferung zur zweiten Lieferung vermutet werden.
  • Ein weiterer zu beachtender Umstand sind die Lieferkonditionen. 
    • Trägt der erste Lieferer das Transportrisiko, spricht einiges für die Zuordnung der bewegten Lieferung an die erste Lieferung. 
    • Trägt der mittlere Unternehmer das Transportrisiko, spricht dies indiziell für die Zuordnung der Warenbewegung an seine Lieferung. 
    • Wurde dem letzten Unternehmer schon vor Transport die tatsächliche Verfügungsmacht an der Ware und somit das Risiko des Untergangs übertragen, so spräche dies für die Zuordnung der Warenbewegung an die Lieferung an den letzten Abnehmer.
  • Weiss der erste Lieferant über den Weiterverkauf durch den ersten Abnehmer Bescheid? 
    • Ist das nicht der Fall, liegt unseres Erachtens eine bewegte Lieferung zwischen dem ersten Lieferanten und dem ersten Abnehmer vor. 
    • Hat er Kenntnis vom Weiterverkauf, könnte diese auf eine ruhende erste Lieferung hindeuten.
Mein Fazit

Bei Warenversendungen durch den mittleren Unternehmer eines Reihengeschäftes fehlt es an einer klaren nationalen Regelung in Deutschland. Die bisherige Auffassung des V. BFH-Senats greift in vielen Fällen zu kurz – wonach es bei der Ortsbestimmung im Reihengeschäft stets nur auf die Frage ankomme, ob der mittlere Unternehmer den ersten Lieferer über den Weiterverkauf informiert habe. Denn käme es wirklich nur auf diesen Umstand an, wäre Chaos in der Praxis vorprogrammiert.

Der XI. BFH-Senat hat bereits aufgezeigt, dass eine umfassendere Würdigung geboten ist. Allerdings ist der Zustand zweier, sich (zumindest teilweise) widersprechender BFH-Senate für die Praxis nicht akzeptabel. In einer solch wichtigen Angelegenheit sollten die Senate des BFH mit einer Stimme sprechen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der deutsche Gesetzgeber bald zu einer klaren neuen Regelung durchringt.

(Bildquelle: © busypix/iStockphoto)




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